Architektur Aktuell: "Günther Domenig"
Vom Brutalismus zum expressiven Konstruktivismus
Günther Domenig
Vom Brutalismus zum expressiven Konstruktivismus
Anläßlich des 10.Todestages des großen österreichischen Bau- und Objektkünstlers Günther Domenig (1934-2012) widmet sich das Forschungs- und Ausstellungsprojekt DIMENSIONAL vielen bislang kaum bekannten Facetten eines einflussreichen CEuvres.
Text Matthias Boeckl
Viereinhalb Jahrzehnte
Kantig zugeschnittene Raumzellen, die auf dünnen Stützen balancieren, schlanke Stahlelemente, die in die sanfte umliegende Wiesen- und Seenlandschaft auskragen, zerklüftete massive Betonwände und Schluchten, die sich dazwischen öffnen - Günther Domenigs Steinhaus in Steindorf am Ossiacher See hat alles, was ein „Iconic House" braucht. Zu Lebzeiten des Künstlers als langjähriges privates Work in Progress und idealtypische Realisierung seiner skulpturalen Bauideen auf einem ererbten Seegrundstück begonnen, zieht der weitgehend funktionsoffen konzipierte Bau bis heute ArchitekturfreundInnen aus aller Welt an. Faszinierend sind nicht nur die Domenig-typische Ausreizung der konstruktiven Möglichkeiten und die archetypische Modellierung und Komposition der einzelnen Bauteile, sondern auch der Modellcharakter der Anlage, der dazu verleitet, in ihr eine Art historischen Prototyp für mögliche Umweltgestaltungen nach den Anschauungen eines Architekten zu sehen, der den Übergang von der späten Moderne über die disruptiven Etappen von Postmoderne und Dekonstruktivismus in das digitale Zeitalter wesentlich mitgeprägt hat. Eine der Fragen, die man sich in den Veranstaltungen des sommerlichen Domenig-Festivals stellt, wird daher auch jene sein, wieweit es sich hier um „nur" eine private Utopie ohne Ansprüche auf großmaßstäbliche Realisierungen nach diesem Vorbild handelt - oder eben auch um das Manifest einer ästhetischen Ideologie mit einem erhofften weiteren gesellschaftlichen Nutzen. Immerhin erscheint das typische Domenig-Repertoire vom Steinhaus mit seinen Penetrations- und Auskragemotiven, seinen Verschneidungen spitzwinkeliger Raumkörper und Flächen sowie großen raumbildenden Gesten auch in vielen seiner öffentlichen Bauten, die er teils allein, teils in der Partnerschaft der Architektur Consult (1998-2006) mit Hermann Eisenköck und Herfried Peyker realisierte. Zu den größten dieser späteren Bauten zählen das Resowi-Gebäude der Universität Graz, das Krankenhaus Bruck an der Mur und das T-Mobile-Center in Wien. International wahrgenommen wurde das Dokumentationszentrum des Reichsparteitagsgeländes Nürnberg, das er mit Gerhard Wallner realisierte. Diese Werke entstanden Jahrzehnte nach den berühmten frühen Arbeiten aus der Partnerschaft von Domenig mit Eilfried Huth (1963-74), darunter die Pädagogische Akademie der Diözese Graz-Seckau, die Mensa der Schulschwestern in Graz und das Pfarrzentrum Oberwart. Eines der bekanntesten Werke Domenigs, die „Z"-Bankfiliale in Wien Favoriten, war der erste größere Bau, den er allein realisierte. Der formale und typologische Bogen, den das CEuvre über viereinhalb Jahrzehnte intensiver Bauproduktion spannte, ist außergewöhnlich breit und vielgestaltig, wie es auch zwei Buchmonografien belegen, die 1991 und 2005 über den Künstler erschienen sind.
Internationale Resonanz
Die InitiatorInnen der Veranstaltungsreihe Günther Domenig DIMENSIONAL mit Raffaela Lackner (Architektur Haus Kärnten), Andreas Krigtof (section.a), Christine Wetzlinger-Grundnig (Museum Moderner Kunst Kärnten) und Igor Pucker (Land Kärnten) leiten mit der Veranstaltungsreihe eine längst schon notwendige Neubewertung von Domenigs Werk ein. Den ganzen Sommer über finden an den vier Kärntner Standorten Heft/Hüttenberg, Steinhaus/Steindorf, MMKK und Architekturhaus/Klagenfurt Ausstellungen, Workshops und weitere Events statt, bei denen die neuen Erkenntnisse, Forschungsergebnisse und parallel entstehenden Publikationen präsentiert werden. Ein Fokus liegt dabei auf Domenigs früher Phase der 1960er Jahre mit seinem damaligen Partner Eilfried Huth. Sie brachte beeindruckende brutalistische PionierBauten wie die oben erwähnte Pädagogische Akademie der Diözese Graz-Seckau hervor (1963/67) sowie pneumatische Werke wie die Ausstellungsgestaltung der TRIGON 1967 in Graz. In München brachte Günther Behnisch mit dem Auftrag für das leider nicht erhaltene Restaurant der Olympiaschwimmhalle (1972) dem jungen Team Domenig und Huth aus Graz internationale Aufmerksamkeit. Diese Leistungen wurden international rasch rezipiert, bevor sie schließlich auch in Österreich die verdienten Würdigungen in Ausstellungen, Filmdokumentationen und Büchern erfuhren. Speziell in England wurden Domenig und Huth schon früh als relevante internationale „Player" wahrgenommen. Der britische Architekturkritiker und -historiker Reyner Banham etwa bezeichnete das große Modell des Projekts „Neue Wohnform in Ragnitz" (1965/66), mit dem die jungen Architekten 1969 den „Grand Prix d'Urbanisme et d'Architecture" in Cannes gewonnen hatten, in seinem 1976 erschienenen Buch „Megastructure, urban futures of the recent past" als zentralen österreichischen Beitrag zur internationalen Debatte: Es sei „das weitest entwickelte und vor allem das überzeugendste Projekt, das aus der, österreichischen Schule kam (die keine einheitliche Gruppe war, da die Grazer Architekten - Domenig, Huth, Hafner etc. - sich stark von den Wiener Visionären wie Hollein und Pichler unterschieden). Das Ragnitz-Projekt gewann den Grand Prix und das große Modell, das die Architekten davon bauten, reiste so lange durch Ausstellungen auf der ganzen Welt, bis es schließlich in seine Teile zerfiel. Die Überzeugungskraft des Projekts lag fast ausschließlich in diesem Modell. In seiner vollständigen Form (...) war es das reichhaltigste und vollständigste akademische Megamodell, das jemals gebaut wurde und sogar das, Control and Choice-Modell von Archigram übertraf." Dieser Austausch früher Domenig-Ideen mit jenen der Helden der Pop-Architektur in England um Peter Cook hat den globalen Architekturdiskurs wohl auch über die Architectural Association im London der 1970er Jahre stimuliert, als dort etwa Rem Koolhaas und Zaha Hadid studierten. 2003 gingen zahlreiche Zeichnungen und Modelle aus den 1960er Jahren anlässlich der Ausstellung „Architectures expdrimentales 1950-2000" in die Sammlungen des FRAC Centre im französischen Orldans ein, am Cover des Katalogbuches erschien das Ragnitz-Projekt, dessen Modell auch physisch rekonstruiert wurde. Die jüngste internationale Würdigung von Domenigs CEuvre fand 2021 in der von Bart Lootsma kuratierten Ausstellung „Radical Austria. Everything is Architecture" im Design Museum im niederländischen Den Bosch statt. Industrie und Individualität Trotz dieser und zahlreicher weiterer Publikationen und Forschungen über die „Grazer Schule" gibt es noch keine vollständige und detaillierte Einordnung von Domenigs CEuvre in seinen jeweiligen regionalen, medialen und historischen Kontexten. Erstmals wird nun das Kärntner Projekt den - über die wichtigsten biografischen Daten hinaus - bislang noch kaum bekannten persönlichen Lebenslauf und die frühen Prägungen des Baukünstlers erforschen. Außerdem müssten noch die fundamentalen theoretischen und kulturellen Fragen konsequent thematisiert werden, die dieses obsessive Formen-Schaffen aufwirft, etwa jene nach der Stellung eines „individualistischen Konstruktivismus" in Bezug auf dessen gesellschaftliche Auswirkungen. In den meisten bisherigen Domenig-Analysen dominierten die Feststellungen, dass es sich etwa um „skulpturale Architektur" handle (Hans Holleins gleichnamige Ausstellung in China 2006), dass es radikal sei (Peter Noever) und dass es eine ganze ArchitektInnengeneration namens Grazer Schule prägte. Aber woher kam Domenigs starke Orientierung an der Konstruktion und in weiterer Folge deren forcierte Deutung als individuelles Ausdrucksmedium statt als neutrales Tragwerk? Domenig und seine internationalen Mitstreiter der 1960er-Avantgarden verbinden in dieser Strategie zwei zentrale Traditionen der Moderne: Industriebasierte und effiziente Konstruktionen, die seit der industriellen Revolution stetig weiterentwickelt wurden, avancierten in der Wiederaufbauzeit nach dem Zweiten Weltkrieg zum Taktgeber der Architekturentwicklung. Gleichzeitig erfuhr der individuelle kreative Aus[1]druck der künstlerischen Persönlichkeit, den die Lebensreformbewegung um 1900 als zentrale Forderung der Moderne etabliert hatte, mit der Konsumgesellschaft breite Relevanz für alle Gesellschaftsschichten. Die Einlösung beider Grundforderungen der Moderne führte in der Nachkriegszeit zur Entstehung eines kreativen skulpturalen Individualismus, der von Le Corbusier bereits in den 1920er Jahren entwickelt worden war und der nun in der Euphorie des Wiederaufbaus von ihm selbst und von zahlreichen jüngeren Künstler-Architekten wie André Bloc oder Walter Förderer breit ausgerollt werden konnte.
Transformation des Technischen
Durch die Herkunft des Teams Domenig/Huth aus der Industriearchitektur (Aufträge wie das 1970/73 entstandene stählerne Forschungs- und Rechenzentrum der Alpine in Leoben wurzelten in Huths Mitarbeit beim Firmenarchitekten Emmerich Donau) blieb der Akzent zumindest der Arbeit von Domenig auch weiterhin beim Konstruktiven. Dessen industrielle Standardisierung verweigerte er, die individuelle kreative Ausformulierung bevorzugt in neuesten Materialien wie Kunststoff trieb er jedoch entschlossen voran. Doch mit welchem Ziel? Ein wesentlicher Aspekt war zweifellos der Realisierungsanspruch, den Domenig mit aller Verve verfolgte: Legendär sind die Berichte von seiner persönlichen handwerklichen Mitarbeit am Bau der komplexen Konstruktionen der „Z"-Bank in Wien. Das deutet auf Domenigs Interesse an breiteren „dialogischen" Verfahren hin, die nicht ausschließlich autonome Kunstfunktionen für seine Baukunstwerke anstrebten, sondern in bewussten Austausch mit Technik und Gesellschaft traten. In diesem Punkt unterscheidet sich Domenig entscheidend vom Objektkünstler Walter Pichler, mit dem er eng befreundet war. Und von der Interpretation der skulpturalen Architektur durch Hans Hollein, der sie nicht von der technischen Seite her dachte, sondern von der künstlerischen: „Skulptur - die als, nutzlos` betrachtet wird - wird zur autonomen Architektur mit psychologischem und physischem Nutzen. Eine Botschaft. Ein Kunstwerk." Domenig ging den umgekehrten Weg: Seine Überwindung des Funktionalismus kam aus der Konstruktion und wollte künstlerische sowie autobiografische Inhalte durch Transformation des Technischen und ihre Präsenz im Nutzungsalltag komplexer Bauwerke verankern.