Bauen am Land: „Die Sehnsucht nach Landidylle“
Bauen am Land: Teil 5
BAUKULTUR IM KÄRNTNER BAUER
Schwerpunkt im Rahmen vom Baukulturjahr 2021
von der FH Kärnten, dem Architektur Haus Kärnten und der Landwirtschaftskammer Kärnten
Vorwort
Tourismus (ver)braucht Landschaft
Unsere Kulturlandschaft und der Tourismus stehen in einem sehr wechselseitigen Verhältnis zueinander. Obgleich die Landschaft im eigentlichen Sinn nichts mit dem Tourismus zu tun hat und auch ohne ihn auskommt, so wird der Tourismus wiederum mit einer intakten und sehenswerten Landschaft verbunden. Der Wandel von der Industrie- hin zu einer Dienstleistungs- und Freizeitgesellschaft, die zunehmende Mobilität, die Urbanisierung der Städte sowie die erhöhten Umwelt- und Klimabelastungen erzeugen ein wachsendes Bedürfnis nach unberührter Natur sowie einer traditionellen Landidylle. Besonders ursprüngliche Regionen werden zu begehrten Reisezielen des modernen Tourismus. Schon seit vielen Jahren ist „der Tourismus“ als Wirtschaftszweig bestimmend für die Entwicklung der Kulturlandschaft. Durchaus positiv können sich Förderungen und gezielte Investitionen auf die Entwicklung des ländlichen Raums auswirken, nicht nur für zahlende Gäste sondern auch für die Einheimischen. Bedroht wird dieses notwendige Gleichgewicht wenn es in die Gegenrichtung hin zum Massentourismus ausschlägt. Und genau darin liegen die grundsätzlichen Herausforderungen beim zukünftigen touristischen Bauen.
Sensibles Gleichgewicht
Nachdem die Seen in Kärnten zur Spekulationsware geworden sind, treibt es nun viele Projektwerber und Investoren in den ländlichen Raum und hier vor allem auf die Almen und Bergregionen. Wir müssen Acht geben, dass wir irgendwann den Wald vor lauter Häuser nicht mehr sehen, denn dann werden auch keine Gäste mehr kommen. Genau in dieser Klemme steckt Urlaubsarchitektur im gesamten Alpenraum seit Jahrzehnten fest. Im Kopf existiert ein Ideal einer Idylle mit bäuerlicher Tradition, unberührter Natur und uriger Heimat. In Wirklichkeit wird aber zunehmend Landschaft verbraucht, touristische Monokulturen geschaffen und immer höher werdende Infrastrukturkosten belasten die Gemeindekassen. Die boomende Bautypologie des „Charletdorfs“ bedroht nicht nur die Kulturlandschaft sondern verstärkt die eigentlichen Widersprüche, welche mit dem Anschein künstlicher Dörflichkeit überdeckt werden. Natürlich erfordert eine funktionierende Wirtschaft dort und da Neubauten. Auch Eingriffe in den Landschaftsraum können nicht vermieden werden. Dennoch darf dieses Gleichgewicht nicht gestört werden. Vielmehr sollte ein neues Verhältnis zwischen Tourismus, Natur, Umwelt und einer Region angestrebt werden. Eine maximale Bebauung der Landschaft zugunsten des Tourismus wird mit Sicherheit nicht zukunftsfähig sein. Kulturlandschaften werden sich aber nicht von alleine erhalten können und brauchen den Tourismus als Motor, welcher einen eigenen Beitrag leisten muss um die Entwicklung langfristig zu sichern. Hoffnung bringen neue Konzepte des sanften Tourismus, welcher umweltschonend und nachhaltig eine Region beleben und erhalten kann.
Die Sehnsucht nach Landidylle
von Dipl.-Ing. Raffaela Lackner
Landschaft, Ortsbild, Erlebnisse, Ortsbild und ursprüngliche Bautradition sind für Urlauber*innen ein bestimmendes Kriterium bei der Wahl des Reiseziels. Neueste Studien belegen, dass gutes zeitgenössischer Bauen neue Gästegruppen anspricht. Auch für Bauern rechnet sich eine Investition in Gästebetten für modernen Urlaub am Bauernhof.
Gerade jetzt, in der COVID-19 Pandemie, wird deutlich wie wichtig die Sicherung der regionalen Versorgung und auch der Kulturlandschaft ist. Dazu gehört natürlich auch die Landschaft als Erholungs-, Natur- und Wirtschaftsraum sowie die touristische Nutzung. Der Tourismus bedient sich meist an traditionellen Motiven, wie alten Gebäuden mit vergrauten Holzfassaden inmitten einer romantischen Bergkulisse. Nahezu 80% der Werbematerialien arbeiten mit Gebautem um Gäste zu locken. Die bäuerliche Kulturlandschaft, Produkte, Dienstleistungen und das Landleben an sich entwickelt sich auf eine Spitze zu. Die Sehnsucht nach dem ursprünglichen und den individuellen Besonderheiten wächst und wächst. Gäste wollen am bäuerlichen Leben teilhaben, ursprüngliche Baukultur erleben, Lebensmitteln beim wachsen zusehen, Kontakt mit Tieren und zudem auch Mithelfen. Genau damit liegt „Urlaub am Bauernhof“ im Trend hin zur Regionalität, Authentizität, Natur und Gesundheit.
Naturnaher Genuss mit Sinn sowie ausgezeichneter baukultureller Mehrwert vereinen sich am Gralhof am Weissensee. Der 520 Jahre alte Biobauernhof liegt eingebettet zwischen Berg und See, mitten im Naturpark und gilt als ein Vorzeigebetrieb für nachhaltigen, sanften Tourismus sowie gelebter (Bau)Tradition in Kärnten. Michael und Corinna Knaller gaben ihr ursprüngliches Großstadtleben auf, um den elterlichen Betrieb in Neusach am Weissensee zu übernehmen. Rasch wuchsen die beiden in ihre neuen Rollen als Bio-Landwirte, Hotel- und Restaurantbetreiber und verstanden ihre Aufgabe als ganzheitliche Verantwortung. Neben einer nachhaltigen touristischen Entwicklung für den Ort und die Menschen wurde die Identität der Baukultur erhalten und weiterentwickelt. Das Ensemble wurde in einem ersten Schritt mit dem eigenen Wohnhaus ergänzt, sie bewahrten und sanierten ein bestehendes Blockhaus. Das alte Haupthaus wurde saniert, renoviert, neu geordnet und im Erdgeschoss mit einem Glaszubau erweitert. Die räumliche Aufteilung und Gestaltung wurde für heutige Ansprüche aktualisiert und sozusagen veredelt. Der gläserne Zubau ans Haupthaus ist Eingangsbereich, Restauranterweiterung und Wohnzimmer für die Gäste zugleich. Stahl und Glas verbinden sich mit dem Lärchenholz von Böden, Wandpaneelen und Möbeln, mit dem schwarzen Naturstein von Rezeption und Theke, mit den weißen Wand- und Deckenflächen des Bestands. Möbel wurden eigens entworfen und vom Tischler gefertigt, wie auch ein Großteil der Ausstattung in den individuellen 16 Zimmern. Keine Stangenware – Altes verbindet sich mit Neuen.
2018 wurde der Gralhof mit dem Kärntner Landesbaupreis ausgezeichnet, dem wohl wichtigsten Architekturpreis in Kärnten. Die Jury erläuterte ihre Entscheidung mit dieser Begründung: „Es ist keine Architektur fürs Hochglanzmagazin, nichts für oberflächliche Betrachtung. Es ist Architektur, die von innen her wirkt - in einem konkret räumlichen Sinn, weil die ursprüngliche Außenerscheinung weitgehend erhalten blieb, im übertragenen Sinn, weil in der sehr persönlichen Gestaltungsweise jene Menschen und Geschichten spürbar werden, die diesen Betrieb prägen und beleben. Die Angemessenheit der strukturellen Eingriffe und der dafür angewandten Mittel charakterisiert die Verwandlungen am Gralhof. Es ist ein Ort der ausgewogenen Verhältnisse: von Bewahren und Erneuern, von Tourismus und Landwirtschaft, von Bewohnen und Bewirten, von Naturraum und Bebauung. Diese richtige Balance zu finden ist eine seltene und hohe Kunst, sie zu halten der Auftrag für die Zukunft.“
(DI Raffaela Lackner, Leiterin Architektur Haus Kärnten)
Zitat Familie Knaller-Gral: „Die Zukunft hat ihr Herz in der Tradition. Es war stets die gesamte Familie, die jeden Weg geplant und alle Zukunftsentscheidungen getroffen hat. Und das macht Familie Knaller-Gral seit immerhin 500 Jahren.“
Links und mehr Informationen:
www.baukulturleben.at Baukulturjahr 2021 in Kärnten
www.architektur-kaernten.at Architektur Haus Kärnten
www.fh-kaernten.at/studium/bauingenieurwesen-architektur Fachhochschule Kärnten, Studiengang Architektur
www.gralhof.at
Fotos © Raffaela Lackner
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