Bauen am Land: „Es mangelt an Baukultur und gesamtheitlicher Sicht!“
Bauen am Land: Teil 11
BAUKULTUR IM KÄRNTNER BAUER
Schwerpunkt im Rahmen vom Baukulturjahr 2021
von der FH Kärnten, dem Architektur Haus Kärnten und der Landwirtschaftskammer Kärnten
Zersiedelung, Landschaftszerstörung, Umgang mit der Ressource Boden, Immobilienspekulationen sind seit Jahrzehnten Themen in Kärnten. Dazu Denkanstöße, passend zum Jahr der Baukultur.
von Arch. Dipl.-Ing. Dr. Peter Nigst (Vorsitzender Fachbeirat für Baukultur)
SCHAFFE, SCHAFFE HÄUSLE BAUE… dieser Ausspruch unserer schwäbischen Nachbarn ist verschieden intensiv nicht nur in unserem Land seit mehreren Generationen als eine Art Zukunfts-perspektive verinnerlicht und diese wirkt, von schmucken „Häuschen“ zu freistehenden „villen-ähnliche Bungalows“ mutiert, bis in die heutigen Tage weiter. Dieser „dringenden Nachfrage“ wurde von allen Seiten Vorschub geleistet. Nachdem die Nachkriegsschäden langsam überwunden waren und die rosigen Wirtschaftszeiten in den 1960er Jahren ansprangen, wurden umfängliche Bauland-widmungen getätigt. Die Motorisierung nahm als willkommener Trend kontinuierlich zu. Die Zersiedelung unserer Landschaft hatte begonnen.
Gerade zu dieser Zeit sind jedoch bereits die daraus resultierenden Fehlentwicklungen vorhersehbar. Es gibt bereits 1970 durch Aktivisten des BÜRO 21 die „Aktion zersiedeltes Kärnten“ mit einem Partezettel für die HEIMAT – die Kleine Zeitung berichtet am 21. Feber 1970 darüber: „.…Ein Blick vom Pyramidenkogel, eine Fahrt durch das Rosental kann es uns eindringlich erläutern. Häuschen am Straßenrand, Häuschen mitten am Acker, Häuschen auf der Kuppe, Häuschen sogar im Wald, Häuschen, Häuschen, Häuschen, wahllos hingestreut über „Wald und Flur“. Was dazwischen noch übrigbleibt, soll die vielgerühmte Kärntner Landschaft sein. Jene Landschaft, die Basis für Kärntens Haupteinnahmsquelle, nämlich der Fremdenverkehr, aber auch jene Landschaft, die unseren Lebensraum darstellt…“
Diese zur Diskussion gestellten Themen sind heute mehr als 50 Jahre später nicht bewältigt! Sie waren eindeutig bekannt – Nur das Ausmaß der Landschaftszerstörung hat sich vervielfacht. Denn Vorausdenken und notwendige, aber politisch als nicht so opportun geltende Maßnahmen werden im Blick auf die nächstfolgende Wahl bis heute vermieden… Die Allgemeinheit beginnt erst langsam zu begreifen, dass der Umgang mit der Ressource Boden nicht täglich mehrere fußballfeldgroße Versiegelungen verträgt. Egal, ob diese für zentrumsferne Einkaufsmärkte, Einfamilienhausgebiete, Tourismus-Erschließungen mit Hotels und zugehörigen Zweitwohnsitzen oder für sonstige Immobilien-spekulationen entstehen. Die notwendige autogerechte Infrastruktur entsteht irreversibel mit.
Es stellt sich daher die Frage für uns alle, vielleicht bereits etwas aufgeweckt durch Klimawandel und Pandemie, ob wir uns leisten können, derartige Entwicklungen, weiterzuverfolgen, einfach weiter-zuleben als wäre nichts geschehen und hätten wir nichts bemerkt? Unbehagen ist bereits merkbar im Denken Vieler, wenn es um den Neubau von Chalet-Dörfern (oder „Almhäusern“) in alpinen Lagen oder die lückenlose, schon mehrreihige Verbauung der Seeufer geht. Doch erste getroffene Maßnahmen greifen noch nicht. Es mangelt an B A U K U L T U R und einer gesamtheitlichen Sicht. Daher ist sehr viel an Vermittlung dieser Werthaltung jetzt und künftig gefordert. Der Landschafts-Raum in dem wir leben ist unser aller Ressource – unser L E B E N S R A U M. Er ist zugleich Kultur-raum, Sozialraum und Wirtschaftsraum. Markante historische Bauten und traditionell gewachsene Ortskerne prägen im Einklang mit ihrem jeweiligen Umfeld noch seine Qualitäten. Vertraute land-schaftsräumliche Situationen schwinden jedoch durch die ausufernden Bebauungen dahin.
Der generelle Wandel unserer Lebensumstände, Multilokalität, Mobilität, Digitalisierung, Segregationstendenzen, Überalterung, um nur einige davon zu nennen, braucht viele differenzierte Antworten und Verhaltensänderungen. Zu allererst braucht es unser Verstehen und Wollen diesen Herausforderungen Rechnung zu tragen. Im ländlichen Raum sind es u. a. Probleme mit Leerständen in den gewachsenen Ortskernen, aber auch Abwanderungstendenzen aus abgelegenen Tal- und Höhenlagen, deren Bewirtschaftung nicht mehr rentabel ist. Die jungen Generationen ziehen vielfach fort. - Dass solche schon an der „Kippe“ stehende Strukturen entgegen vieler Annahmen neu gefestigt werden können zeigen dennoch einzelne Initiativen.
Gelungenes Beispiel Vrin
Die kleine Ortschaft VRIN in Graubünden in der Val Lumnezia, wurde durch das bemerkenswerte Engagement des Architekten GION CAMINADA, der selbst dort lebt, strukturell verändert.
Er hat sich gemeinsam mit den Bewohnern Vrins buchstäblich zur Wehr gesetzt und die Ortstruktur sukzessive mit den wesentlichsten Nutz- und Wohnbauten ergänzt, die eine solche entlegene Ortschaft braucht, um praktikabel zu wirtschaften und sich selbstbewusst in dieser Lage behaupten zu können. Dies ist ihm gelungen im Widerstreit zu Untersuchungen des renommierten Studios Basel, das zum Schluss kommt, diese und ähnliche Gebiete müssten, kurz zusammengefasst, aufgegeben und abgesiedelt werden.
Jetzt gibt es in Vrin alle wesentlichen Einrichtungen in von ihm in einfacher Weise gestalteten Bauten, die sich in die Dorfstruktur bestens einfügen. Diese baulichen Interventionen und vor allem das Konzept so vorzugehen haben auch in der Folge internationales Interesse ausgelöst und viele Besucher in dieses Tal anreisen lassen. Für eine baukulturelle Gesamtsicht ist ein intelligentes tatsächliches Umschwenken im landwirtschaftlichen Bereich, basierend auf ökologischen Grundsätzen, mit Voraussetzung für ein Arbeiten in einem künftigen neuen Lebensumfeld, das für junge Generationen bei zugleich geänderter Lebenseinstellung Perspektiven und Anreize bietet.
Weiterführender Hinweis auch auf eine umfassende Darstellung des Wandels in Örek 2030 (Österreichisches Raumentwicklungskonzept) - Österreichische Raumordnungskonferenz - ÖREK 2030 (oerok.gv.at)
Kärntner Zersiedelungsmanifest
Felix Orsini-Rosenberg formuliert für das BÜRO 21 das „Kärntner Zersiedelungsmanifest“:
Was ist ZERSIEDELUNG? (Eine alte Haube, jeder baut wie er will) Zersiedelung sind die vielen schmucken Häuschen in der Landschaft, die Verkehrserreger, die unnötigen Straßenführungen zu den Eigenheimen der Eigentümer. Zersiedelung ist VEREINSAMUNG, ist Frauen- und Kinder-schwerarbeit, falsches Sozialprestige, scheinbare Freiheit, ein überholter Eigentumsbegriff (aus der Mottenkiste reaktionärer Parteiideologien, auch der scheinbar linken) Zersiedelung ist UNSOZIAL, ist die Unfähigkeit zur Nachbarschaft, zur Sozietät, zur Gemeinschaftsbildung. Zersiedelung ist Zerstörung der Agri-Kultur, Ausbeutung des Bodens, unwiederbringlicher HEIMATVERLUST.
Bund, Land, Gemeinde, Wüstentot und Hali-Halo-Haus fördern das Zersiedelungspreisausschreiben. Jede Zersiedelung wird von jedem Österreicher steuerlich subventioniert. Jede Zersiedelung ist Gegenstand einer amtlichen Kommission und eines technischen Sachverständigen. Zersiedelung ist eine KRANKHEIT. Ihr Erreger kommt aus dem städtischen Bereich infolge Zerstörung mensch-lichen Zusammenlebens durch F ORTSCHRITTSÜBERFUNKTION und den WACHSTUMSFETISCH.
KÄRTNER (Krainer, Steirer, Ober-Österreicher) wehrt Euch gegen die Gefälligkeits-demokratie Eurer Politfunktionäre. Schützt Feld, Hof, Baum und Strauch. Bildet echte Gemeinschaften und Bürgerinitiativen. Schützt das Land vor Zivilisationssegnungen (auch der Autobahn- und Kraft-werkstechnokraten). VERHINDERT DIE OKKUPATION UND VERFREMDUNG EURER HEIMAT. Jugo-Angst und Muttersprache sind bloß Scheinprobleme politischer Zaunstreicher und Drahtzieher. Der Heimatverlust vollzieht sich anderswo.