Baunetzwoche #604: "Günther Domenig. Der vergessene Dekonstruktivist"
DER VERGESSENE DEKONSTRUKTIVIST
Zehn Jahre nach dem Tod von Günther Domenig fragt eine große Ausstellung in und um Klagenfurt nach der heutigen Relevanz des österreichischen Architekten. Wir zeigen drei Bildessays der Fotografen David Schreyer, Gerald Zugmann und Gerhard Maurer, die sich in ihrer Arbeit immer wieder mit Domenigs Bauten auseinandergesetzt haben.
(Artikel von Florian Heilmeyer)
Zweifellos zählt Günther Domenig (1934–2012) zu den eigenwilligsten und wichtigsten österreichischen Architekten des 20. Jahrhunderts. Als Protagonist der „Grazer Schule“ war er einer der Geburtshelfer einer jungen, postfunktionalistischen Nachkriegsarchitektur, die in kaum einem zentraleuropäischen Land solch eine Blüte erlebte wie in Österreich – mit so unterschiedlichen Persönlichkeiten wie Hans Hollein oder Hermann Czech, Raimund Abraham oder Klaus Kada, Haus-Rucker-Co, Zünd-Up oder Coop Himmelb(l)au. Dabei verstand es Domenig, internationale Strömungen von Brutalismus über Pop-Art und organische Architektur bis hin zu High-Tech-Architektur und Dekonstruktivismus aufzugreifen und sie mit einer so wuchtigen Radikalität umzusetzen, dass vor allem seine Projekte der 1960er und 1970er Jahre ihrer Zeit weit voraus waren. Die Wirkung von Gebäuden wie dem schroffen Betonberg-Kirchenzentrum in Oberwart (1969), dem experimentell-organischen Saal für die Schulschwestern in Graz-Eggenberg (1972) und insbesondere der Sparkassenfiliale in Wien-Favoriten mit zerknitterter Metallfassade und organisch-technoidem Inneren (1979) kann kaum überschätzt werden. Auch wenn beinahe alle Werke Domenigs in Südösterreich verortet sind, beriefen sich internationale Architekt*innen wie Thom Mayne, Frank Gehry, Greg Lynn, Peter Cook oder Zaha Hadid auf ihn.
Domenig war ein Pionier. Den Sprung in die Riege der internationalen Stars aber schaffte er nicht. Er stand im Schatten anderer Österreicher wie Hans Hollein und Wolf Prix, die – auch aufgrund eines sehr viel aktiveren Selbstmarketings – zu internationalem Ruhm aufstiegen. Nicht Domenig, sondern Prix wurde von Philipp Johnson und Mark Wigley 1988 zur Ausstellung „Deconstructivist Architecture“ im MoMA New York eingeladen – eine diskutable Entscheidung. So blieb Domenig in Österreich, beinahe alle seine Gebäude entstanden in Kärnten und der Steiermark in einem 150-Kilometer-Radius um seine Geburtsstadt Klagenfurt. Sein einzig wirklich bedeutendes Projekt außerhalb war der Umbau der Kongresshalle auf dem Reichsparteitagsgelände in Nürnberg (2001), wo er den unfertigen Backsteinkoloss von Franz und Ludwig Ruff mit einem schiefen Metallgang diagonal durchbohrte – einen „Speer für Speer“ hat er diesen Entwurf einmal genannt und damit treffend die rohe Gewalt beschrieben, die er als absolut adäquate Antwort auf die brutale faschistische Machtarchitektur entworfen hatte. Heute, zehn Jahre nach seinem Tod, ist es erstaunlich ruhig geworden um Günther Domenig. Seine architektonische Position taucht im aktuellen Diskurs, wenn überhaupt, nur noch am Rande auf – und das selbst in Graz, wo er fast 30 Jahre lang lehrte. Doch nun fragt eine große Ausstellung in und um Klagenfurt, die noch bis Oktober zu sehen ist, nach der aktuellen Relevanz seiner Arbeit. „Domenig Dimensional“ versammelt eine Vielzahl an Perspektiven und Interpretationen und findet parallel an vier sehr unterschiedlichen Orten statt: in zwei Museen in Klagenfurt, in der ehemaligen Eisenhütte Heft in Hüttenberg, die Domenig 1995 für eine Landesausstellung spektakulär umbaute, und in seinem legendären dekonstruktivistischen Privathaus am Ossiacher See, dem sogenannten Steinhaus. Dutzende junge Künstler*innen und Architekt*innen wurden eingeladen, sich in Texten, Installationen, Vorträgen und Performances mit Domenigs Gebäuden und Gedanken auseinanderzusetzen. Also tanzen nun Nackte durchs Steinhaus, wummernde Klänge und digitale QR-Code-Kunstwerke füllen die Heft, während im Architektur Haus Kärnten Domenigs Dia-Archiv untersucht wird. Im Museum Moderner Kunst Kärnten schließlich wird eine große Retrospektive gezeigt. Wir haben mit zwei der Kurator*innen über die Ziele der Schau gesprochen.
„WIR WOLLEN DEM VERGESSEN ENTGEGENWIRKEN“
Florian Heilmeyer im Gespräch mit Raffaela Lackner, Direktorin des Architektur Haus Kärnten (AHK), und Andreas Krištof vom Kurator*innenkollektiv section.a, die „Domenig Dimensional“ gemeinsam mit Igor Pucker und Christine Wetzlinger-Grundnig initiiert und konzeptioniert haben. Der zehnte Todestag eines Architekten ist ja ein eher ungewöhnlicher Anlass für eine so große Werkschau. Wie kam es dazu?
Raffaela Lackner: Ich übernahm 2011 – ein Jahr vor Domenigs Tod – die Leitung des AHK und 2014 auch die Leitung des Steinhauses. So bin ich seit meinem Architekturstudium an der Fachhochschule Kärnten endlich wieder tiefer in sein Werk eingetaucht und habe mit zahlreichen Weggefährten, Freunden, Mitarbeiterinnen gesprochen. Dabei habe ich viele Seiten eines Architekten kennengelernt, der für seine scharfen und schonungslosen Kommentare zu Baukultur und Gesellschaft sehr gefürchtet war. Bis heute eröffnen sich immer neue Aspekte und Sichtweisen. So entstand auch der Titel der Ausstellung „Dimensional“: Sie ist in unterschiedlichen Ebenen und Schichten aufgebaut, sodass nicht nur eine Perspektive gezeigt wird, sondern viele verschiedene. Das lässt Raum, um sich selbst ein Bild zu machen.
Andreas Krištof: Die Idee für das große Ausstellungs- und Forschungsprojekt entstand auch aus der gemeinsamen Erkenntnis, dass Günther Domenigs Werk – und damit eine zentrale Architekturposition des 20. Jahrhunderts – aktuell offenbar in Vergessenheit gerät. Diesem Vergessen wollen wir entgegenwirken und mit der erstmaligen Zusammenschau zur Diskussion darüber einladen, was man da eigentlich vergessen will.
Wie erklären Sie sich dieses schnelle Vergessen?
Andreas Krištof: Die Gründe dafür sind vielschichtig und liegen unter anderem wohl auch in Domenigs polarisierender Persönlichkeit – aber auch darin, dass sich der Architekturdiskurs aktuell anderen Themen wie Nachhaltigkeit, Gebäudeökologie, Partizipation oder dem öffentlichen Raum widmet.
Warum finden Sie es wichtig, gerade jetzt an Domenig zu erinnern?
Andreas Krištof: Ich denke, dass gerade aufgrund der aktuellen Diskurse ein neuer Blick auf Günther Domenigs Werk notwendig ist. Sein OEuvre ist für die Architekturgeschichte Österreichs von zentraler Bedeutung und zieht sich seit den 1960er Jahren kontinuierlich durch die Jahrzehnte. Die Entwicklung einer organischen Architektur, die einhergeht mit einer Dynamik des Inneren, die Dekonstruktion zugunsten einer Neuformierung, die Widerständigkeit seiner Architektur, die Form der Expressivität und Körperlichkeit sind nur einige Eigenschaften, die es wert sind, auch aktuell bedacht zu werden. Der Architekturkritiker Jan Tabor sieht in Günther Domenig einen Nachfolger von Friedrich Kiesler und zugleich einen Architekten, der bereits zu seiner Zeit eine große Wirkung entfaltete, man denke nur an die Grazer Schule.
Was erhoffen Sie sich von „Domenig Dimensional“?
Andreas Krištof: Dass ein neues Bewusstsein für diese spezifische und eigenwillige Form der Architektur entsteht und dass vielleicht auch eine neue Form der Betrachtung von Domenigs Arbeit möglich wird, die befreit ist von Duktus und Ton der 1990er Jahre.
Raffaela Lackner: Ich erhoffe mir zudem ein breiteres Verständnis und eine stärkere Wertschätzung seiner Bauten in Kärnten, die ihm zu Lebzeiten leider verwehrt blieb. Er hat so viel mehr gebaut als sein Steinhaus, war international sehr angesehen und geschätzt. Durch die Kontextualisierung mit aktuellen, auch weiblichen Positionen ist eine Neuverortung möglich und wichtig.
DREI FOTOGRAFISCHE PERSPEKTIVEN AUF DIE BAUTEN VON GÜNTHER DOMENIG
Die Ausstellung „Domenig Dimensional“ ist bemüht, möglichst viele Blickwinkel auf das Werk Günther Domenigs zusammenzubringen und dadurch den Diskurs zu befruchten. Gezeigt werden auch Werke zahlreiche Fotograf*innen mit sehr unterschiedlichen Sichtweisen auf Domenigs Gebäude. Florian Heilmeyer hat für diese Baunetzwoche die Fotografen David Schreyer, Gerald Zugmann und Gerhard Maurer über ihren Bezug zu Günther Domenigs Werk befragt. Es folgen drei kurze Fotoessays mit ausgewählten Bildern.
SOLCHE KONSTRUKTIONEN ZU DENKEN UND UMZUSETZEN, IST BEEINDRUCKEND
FOTOS UND STATEMENT VON DAVID SCHREYER
Günther Domenig war mir schon lange vor meinem Architekturstudium bekannt. Zum einen war er in der österreichischen Medienlandschaft stets präsent. Zum anderen bin ich in einer Familie aufgewachsen, in der zeitgenössische Architektur immer eine Rolle gespielt hat, und so war Domenig auch bei uns zu Hause ein Begriff. Seine Position war eine geschätzte – und eine, die für Diskussionen sorgen konnte. Die intensive Auseinandersetzung mit Domenigs Werk begann für mich 2013, als ich acht seiner Bauten für eine Werkschau im Haus der Architektur in Graz fotografierte. Domenigs Werk besitzt eine Eigenständigkeit, war seiner Zeit voraus. Die Konstruktionen sind hochkomplex. Als Beispiel sei etwa die Fassade der Z-Sparkasse in Wien erwähnt. So eine Konstruktion zu erdenken, zu Papier zu bringen – ohne Computerunterstützung –, dann mit Handwerkern zu diskutieren und umzusetzen, ist beeindruckend. Und die Gebäude funktionieren bis heute. Die Z-Sparkasse fristete zwar viele Jahre ein trauriges Dasein, wurde aber vor wenigen Monaten zu einem Restaurant. Nach einer Grundreinigung und ein paar kleineren Adaptionen erstrahlt der Bau in neuem Glanz.
Unter Domenigs Werken habe ich zwei Favoriten: Da ist zuerst das Dokumentationszentrum in Nürnberg. Seine Art, auf diese größenwahnsinnige Kubatur des Reichsparteitagsgeländes zu reagieren – mit einem Nadelstich –, ist eindrucksvoll. Vor Ort bekam ich sofort den Eindruck, dass man eigentlich nur so mit dieser Situation umgehen kann. Und dann ist da noch der fantastische Bau der Mensa der Schulschwestern in Graz. Ich stand dort und langsam füllte sich der Raum mit Menschen, die sich zum Mittagessen trafen. Der Geräuschpegel stieg, aber die Akustik blieb immer angenehm. Das warme Licht der Mittagssonne sorgte für Lichtpunkte am Boden, die wiederum den Raum erhellten. Ein toller Moment!
David Schreyer studierte Architektur in Innsbruck und spezialisierte sich schon während des Studiums auf Architekturfotografie. Seit 2012 ist er Mitglied der Tiroler Künstlerschaft, 2017 bis 2020 lehrte er an der Architekturfakultät in Innsbruck. Die von ihm und dem Kunsthistoriker Andreas Nierhaus erarbeitete Publikation „Los Angeles Modernism Revisited“ (2019) stand im Fokus der Baunetzwoche #552.
www.schreyerdavid.com
MICH BEGEISTERN DIE EINZIGARTIGEN, KRAFTVOLLEN INTERVENTIONEN
FOTOS UND STATEMENT VON GERALD ZUGMANN
Ich habe Günther Domenig 1988 kennengelernt, als ich für eine Ausstellung im Museum für Angewandte Kunst in Wien die Baustelle des Steinhauses fotografierte. Daraus hat sich eine langjährige Zusammenarbeit mit ihm entwickelt und ich habe seitdem immer wieder seine Gebäude fotografiert.
Mich begeistern vor allem die einzigartigen, kraftvollen Interventionen in vorhandene Architekturen wie in Hüttenberg oder Nürnberg sowie das Steinhaus als Intervention in die Landschaft und ein schwieriges Umfeld. Mein erster Eindruck von dieser Baustelle war ein „Beeindrucktsein“. Mir gefielen die mächtigen, skulpturalen Objekte und es war gleichzeitig eine Herausforderung, diese Anhäufung von einzelnen architektonischen Elementen in einem Zusammenhang zu fotografieren.
An Domenigs Person fasziniert mich dieser unbändige Wille, das Steinhaus allen Widerständen zum Trotz zu einem – wie auch immer gearteten – Ende zu bringen. Ich denke, dass die genannten drei Gebäude so singulär sind, dass sie ebenso wie die Werke anderer großer Architekten – etwa Carlo Scarpas Tomba Brion oder Louis Kahns Salk Institute – ihren Platz in der Architekturgeschichte finden.
Ich habe mich Domenigs Architekturen fotografisch nicht anders genähert als anderen Gebäuden. Für mich ist die Fotografie ein eigenständiges künstlerisches Medium. Es geht mir nicht primär um eine dokumentarische Widergabe des Gebauten, sondern um die Gestalt, die ich als Wahrnehmender einem Bau verleihe. Wichtig ist mir dabei, die ursprüngliche Idee eines Bauwerks zu entdecken, weswegen ich alles ausblende, was auf Zeitlichkeit, auf das alltägliche Leben oder die Nutzung eines Gebäudes hinweisen könnte. Bei besonders interessanten Bauten – und dazu gehören Domenigs Werke – möchte ich dem Betrachter der Fotografien außerdem die Möglichkeit geben, das Gebäude auch zweidimensional in seiner Komplexität wahrnehmen zu können. Daher mache ich keine Einzelaufnahmen, sondern versuche in einer Art Fotoessay das Gebäude zu durchqueren. Dabei kommt Domenigs Art des Bauens meiner Art der Fotografie sehr entgegen.
Gerald Zugmann ist seit 1978 freier Fotograf in Wien mit dem Schwerpunkt Architekturfotografie und hat Werke internationaler Architekten sowie Künstler teils über Jahre hinweg dokumentiert. Er arbeitet nach wie vor ausschließlich mit analoger Fotografie, großformatigen Kameras und entwickelt alle Silbergelatine-Abzüge selbst.
www.zugmann.eu
ER HAT SEINEN GEBÄUDEN FORMEN GEGEBEN, ALS WÄREN SIE AUS EINER ZUKÜNFTIGEN WELT
FOTOS UND STATEMENT VON GERHARD MAURER
Günther Domenigs Architekturen wirken auf mich wie Kulissen und Bühnen, so entworfen und umgesetzt, als wären sie in ihrer Gesamtheit für viel mehr als nur für ihren unmittelbaren Zweck gedacht – eine Intervention, eine Haltung, ein Statement.
Domenig war ein mutiger Architekt, der seine persönlichen Visionen umsetzte – ich schätze, weitgehend kompromisslos. Er ist großzügig mit Raum umgegangen, hat auch Platz für Leere geschaffen und seinen Gebäuden Formen gegeben, die immer wieder wirken, als wären sie aus einer anderen, zukünftigen Welt.
Für die Publikation „In Resonanz“, die parallel zur Ausstellung „Domenig Dimensional“ erschienen ist, habe ich zwischen Oktober 2021 und Ende März 2022 mehrere seiner Bauten besucht und mich dabei auf das eingelassen, was ich vor Ort gesehen habe. Mir war es wichtig, Gesamtansichten zu fotografieren, wenn möglich auch im Kontext der Umgebung. Oft habe ich mich von draußen nach drinnen gearbeitet, in die Strukturen und Wege des Gebäudes eintauchend. Wesentlich war für mich auch, die aktuelle Nutzung zu portraitieren.
Viele von Domenigs Bauten haben stark auf mich gewirkt und mich emotional berührt, am meisten dort, wo die Natur beginnt, leer stehende Bauten gnadenlos zu umwuchern – als würde sie das monumentale Werk des Menschen begraben, um ihn mit seiner Vergänglichkeit zu konfrontieren. Zum Beispiel in der Heft, die ich im Oktober 2021 besuchte und die damals seit Jahren leer stand. Wenngleich einige der Bauwerke aufgrund ihrer Dimensionen und Materialien kalt, nüchtern, manchmal fast bedrohlich wirkten, hatte ich in ihrem Inneren oft das Gefühl, getröstet, beschützt und abgeschottet zu sein.
Domenig zeigt meiner Meinung nach sehr deutlich, dass Architektur auch Kunst sein kann und dass Architekt*innen sich nicht von einer kleingeistigen Atmosphäre einschränken lassen müssen, sondern ihr mit ihren Werken etwas Unübersehbares entgegenstellen können. Architektur kann für unser Alltagserleben einen verstörenden Rahmen bilden.
Gerhard Maurer, geboren 1967, ist Fotograf und Kulturarbeiter in Klagenfurt. Er realisierte zahlreiche freie Projekte und Publikationen im Kontext von Alltagskultur, Architektur, Heimat und Identität. Seit 2016 betreibt er mit seiner Frau Gudrun Zacharias in Klagenfurt den Raum für Fotografie, einen Ort der Vermittlung zeitgenössischer Fotografie.
www.raumfuerfotografie.at