BAUNETZWoche#627: "Der Tante-Emma-Supermarkt im Dorfzentrum"
NEUE DORFMITTE ARRIACH
NEUE DORFMITTE ARRIACH von Hohengasser Wirnsberger Architekten in Kärnten
Das dritte Beispiel greift ebenfalls auf alte Typologien zurück. Arriach ist eine kleine Gemeinde in den österreichischen Alpen: 1.400 Einwohner*innen verteilen sich auf 14 Weiler und Gehöfte mit Namen wie Sauboden oder Hundsdorf. Das Schicksal des einzig größeren Zentrums, Arriach, ist typisch für viele Landgemeinden: Die Geschäfte, die früher um die Kirche den Mittelpunkt der Gemeinde bildeten – Bäckerei, Metzgerei, Bank – schlossen eines nach dem anderen. Sie wurden ersetzt durch große Kisten am Autobahnkreuz. Mit ihnen verschwand das öffentliche Leben aus dem Dorf.
Im Jahr 2018 beschloss die Gemeinde, selbst eine Trendumkehr einzuleiten. Sie kaufte eines der ältesten Häuser im Zentrum und lobte einen Architekturwettbewerb aus. Das „Scherzerhaus“ aus dem 19. Jahrhundert sollte zum Verwaltungszentrum, der Vorplatz zur neuen Ortsmitte werden. Einen entscheidenden Beitrag erhoffte man sich dabei von einem kleinen Supermarkt direkt hinter dem Scherzerhaus. Für den Neubau standen jedoch nur knapp 250 Quadratmeter zur Verfügung. Keine der großen Supermarktketten war an einem so kleinen Geschäft interessiert. Also beschloss die Gemeinde, das Ladenlokal auf eigene Rechnung zu bauen und zu einem reduzierten Preis zu vermieten – eine Art Subventionierung im öffentlichen Interesse.
Den Wettbewerb gewannen Hohengasser Wirnsberger Architekten, die ihr Büro im kaum 50 Kilometer entfernten Spittal haben. Sie sanierten das Scherzerhaus und nutzten eine Lücke zum Pfarrhaus für den neuen Dorfplatz. Dieser ist mit Naturstein gepflastert, dazu kommt eine frisch gepflanzte Schwarzkiefer, eine Bank und ein Brunnen. Insignien eines traditionellen Dorfplatzes also, die Patina wird von alleine kommen. In Ergänzung entstand ein kleiner Marktladen, der die südliche Platzkante bildet: ein flacher, schlichter Bau mit einem hölzernen Vordach und kleiner Kolonnade zum Platz. Ein überdachter Durchschlupf führt von dort zwischen Scherzerhaus und Markt hindurch zu einer kleinen Parkfläche hinter dem Markt. Die einfache, kostengünstige Konstruktion des Marktes erinnert an die schlichten landwirtschaftlichen Nutzbauten, die auf den Bergwiesen ringsum stehen. Das Budget von 1,9 Millionen Euro (inklusive Platzgestaltung und Altbaurenovierung) wurde eingehalten.
Der neue Dorfplatz hat sich mittlerweile als Zentrum des öffentlichen Lebens etabliert. Architekt Jürgen Wirnsberger sagt, dass das Projekt auch Vorbild für andere Gemeinden sein könne, ihr Schicksal wieder in die eigene Hand zu nehmen. „In Arriach funktioniert es, weil die Gemeinde Eigentümerin des Ladens ist und ihn zu einem günstigen Preis vermietet.“ Aktuell wird er von einer Einheimischen geführt, die einen Versorgungsvertrag mit einer großen Supermarktkette abgeschlossen hat. „Das Dorfzentrum hat seine Bedeutung für die Gemeinde bereits bewiesen“, erzählt Wirnsberger noch. „Im Sommer 2022 gab es ein Unwetter mit verheerenden Überschwemmungen, kurz war Arriach von der Außenwelt abgeschnitten. Da waren alle froh, diesen kleinen Laden für den täglichen Bedarf zu haben.“ Und als Treffpunkt. Auf dem Platz traf man sich für einen Plausch unter Nachbarn, um sich über die Überschwemmungen auszutauschen. Auch im Social-Media-Zeitalter ist das direkte Gespräch manchmal doch am wohltuendsten.