Der Standard_Beilage: "Architekturtage 2022"
Tage der offenen Türen
Lebenslanges Lernen muss kein Zwang sein, wenn alle mitmachen. Kindergärten, Schulen und Universitäten machen nicht nur klüger – ihre Architektur selbst lernt auch stets dazu. Die Architekturtage 2022 machen die Räume für Bildung weit auf.
Artikel von Maik Novotny
In diesen Tagen, da in den USA ernsthaft debattiert wird, Schulen zu Festungen mit nur einer streng bewachten Tür umzubauen, hilft es, den Blick zurück nach Europa zu wenden. Denn hier gehen Schulen schon seit längerem genau den entgegengesetzten Weg. Die theresianischen, neun Mal sieben Meter großen Normklassenzimmer wurden in Österreich zusammen mit dem Zwang zum Frontalunterricht abgeschafft – ersetzt durch Bildungsbereiche, Marktplätze und individuelle Rückzugsräume. Die Grenze zwischen Gang und Zimmer löst sich auf, und die Grenze zwischen Schule und Stadt auch. Das alles ist Grund zur Freude. Den haben auch die rund 750 Kinder und Jugendlichen, die die Ganztagesvolksschule und erweiterte Berufsschule an der Wiener Längenfeldgasse besuchen. Eine Schule, die mehr einer Stadt ähnelt als einem Gebäude – mit Terrassen, Treppen, Höfen, Türmen und einer Rutsche in den Garten noch dazu. Nichts für schwache Nerven: Die Schwerkraft macht ordentlich Tempo! In den Innenräumen freundlich-pastellige Eissalonfarben, viel Licht, viele Durchblicke. Auch die Architekten von PPAG haben hier dazugelernt, obwohl sie selbst reichlich Schulbauerfahrung mitbrachten. „Zum Beispiel, dass es in den Klassen nie genug Kastln geben kann“, sagt Architektin Anna Popelka. „Der Bedarf an Stauraum ist enorm.“ Nicht nur in Wien, wo das 2009 eingeführte Wiener Campusmodell die Schwellen zwischen Kindergarten und Schule beseitigte, sondern in allen Bundesländern sind die Bildungsräume in Bewegung geraten, und oft sind die Tore der Schule nach der letzten Stunde nicht geschlossen, wenn diese sich als wirklich öffentliches Gebäude begreift und auch von Erwachsenen genutzt wird.
Neuer Wachstumsschub
Viel Frischluft durch offene Fenster also, und jetzt kommt schon der nächste Wachstumsschub, der seine eigenen Lerneffekte mitbringt – und zwar der Umbau und Weiterbau bestehender Schulen. Neue Bedürfnisseund Lernformen kollidieren mit bestehenden Räumen, aber oft auch mit progressiven und heute noch funktionierenden Konzepten früherer Jahrzehnte. Das 2021 mit dem Staatspreis Architektur und Nachhaltigkeit ausgezeichnete Bildungszentrum in Frastanz-Hofen (Pedevilla Architekten), der Weiterbau der Pädagogischen Hochschule Salzburg (Riccione Architekten) oder der Campus Nüziders (Fink Thunher Architekten) beispielsweise gehören dazu. Letzterer auch ein Paradebeispiel für die Fülle an Nutzungen, die in das, was wir beiläufig „Schule“ nennen, heute hineinprogrammiert werden: Kindergarten, Volksschule, Musikschule, Bibliothek, Kletterhalle. Im Kielwasser dieser Erneuerungen haben sich begleitende Fachbereiche mit professionalisiert – von der Schulmöblierung bis zur pädagogischen Beratung. All dies sind Gründe, warum die Architekturtage 2021/2022 sich das Motto „Architektur und Bildung: Leben Lernen Raum“ gegeben haben Die nunmehr zehnte Ausgabe des Baukultur-Vermittlungsformats, das von der Ziviltechnikerkammer und dem Verein Architekturstiftung (Leitung: Barbara Feller bis Ende 2021, seit 2022 Josef-Matthias Printschler) veranstaltet und von den Architekturhäusern der Bundesländer mit Programm befüllt wird. Corona-bedingt auf ein ganzes Jahr ausgedehnt, starteten die Architekturtage im Juni 2021 und klingeln jetzt am 10. und 11. Juni zum großen Finale in allen Bundesländern.
Netzwerk von Lernorten
„Neue Herausforderungen brauchen passende Räume“, sagt Christian Kühn, Vorsitzender der Architekturstiftung Österreich. „Bildung findet heute in einem Netzwerk von Lernorten statt, das den öffentlichen Raum maßgeblich erweitern und bereichern kann, wie die Mehrfachnutzung von Innen- und Außenräumen durch die Nachbarschaft. Einige dieser spannenden Ansätze können bei den Architekturtagen besichtigt werden.“ Im Fokus stehen dabei nicht nur die Objekte, sondern auch die Prozesse dahinter, und die Formate zwischen Dornbirn und Eisenstadt reichen von Führungen (unter Beteiligung von Schülern und Lehrpersonal) und Ausstellungen über Diskussionen, Feste, Kinderworkshops,Filmscreenings und Exkursionen per Fuß und Rad bis zu den offenen Ateliers vieler Architekturbüros, die zum Besuch einladen. In diesem Sinne: Türen auf!
Kärnten
Wettbewerb der Ideen
Viel zu lernen gibt es bei den Architekturtagen in Kärnten, und das auf allen Ebenen. Da wäre jene der Schulbaupolitik, die im südlichen Bundesland mittels des Kärntner Schulbaufonds neue Ideen im Bildungsbau fördert. Die vom Architektur Haus Kärnten erarbeitete Publikation Schulbau in Kärnten zeigt 20 dieser realisierten Projekte aus den letzten zehn Jahren und wird im Rahmen der Architekturtage stolz präsentiert: ein kompakter und handlicher Überblick über den Stand der Dinge.
Doch Architektur manifestiert sich nicht nur handfest in Ziegel und Beton, sondern auch in Ideen: Der Marktplatz für diese ist seit jeher der Architekturwettbewerb, und hier öffnet eine Ausstellung im zt:haus in Kärnten Einblicke. Sie zeigt Wettbewerbsbeiträge zu acht Bildungsbauten von Ebenthal über Litzelhof bis zum Millstätter See. Hier sieht man, dass es für jede Schul-Aufgabe mehr als nur eine einzige Lösung gibt, auch wenn nur eine gewinnen kann. Auch für Laien eine lehrreiche Erfahrung. Ergänzt wird die Ausstellung von sechs Kurzfilmen zu Kärntner Schulbauten. Ganz ohne Didaktik an der puren Architektur selbst berauschen kann man sich am Steinhaus Ossiacher See, wo im Rahmen der Architekturtage die großen Festlichkeiten zum zehnten Todestag des expressiven Architektur- Sturkopfs Günther Domenig ihren Anfang nehmen.