Die Brücke_2015.12.01_Räume der Flucht und des Wartens
Die Brücke 171 /172 - Dezember 15/Jänner 16, Seite 29:
Die Wanderausstellung „Fluchtraum Österreich“ macht sichtbar, wie sich gegenwärtige Asylpolitik und reglementierte Zustände des Wartens räumlich niederschlagen.
Wer kennt es nicht: Menschen auf der Flucht nach Europa, neue Asylwerber in Österreich, wohnhaft in engen Flüchtlingsquartieren, Zelten und Containern in Anbetracht des Winters – ein menschenunwürdiger Zustand. Auf der anderen Seite Architekten, die ausgebildet sind, konkrete Raumbedürfnisse und –programme in maßgeschneiderte Planungen zu gießen und kreative Ideen zu finden.
Doch was tun, wenn weder das Errichten von Notunterkünften noch das Adaptieren von vorhandenem Leerstand erwünscht sind? Wenn sich der Ausnahmezustand in Hallen, Zelten und Containern zu institutionalisieren droht, während Migration vielmals weltweit stattfindet?
Es sind Methoden gefragt, sich mit der Ungleichheit von Raumaneignung und Raumproduktion auseinanderzusetzen. Und es gibt neue Werkzeuge, die analytische und grafische Techniken einsetzen, um räumliche Ungleichheiten sichtbar zu machen. Die jungen Architekten Nina Valerie Kolowratnik aus Südtirol und Johannes Pointl aus Oberösterreich kamen nach ihren Masterstudien an der Columbia University in New York mit dem Wissen zurück und erarbeiteten mit Studierenden am Institut für Architektur und Entwerfen der Technischen Universität Wien im Sommersemester 2015 Visualisierungstechniken für die gegenwärtige Asylpolitik und Zustände des Wartens in und um Österreich und bereiteten die Ergebnisse in der Wanderausstellung „Fluchtraum Österreich“ auf. Damit wollen sie eine neue Sichtweise auf Zustände der Flucht und des Wartens, der reglementierten Raumnutzung von Asylwerbern, sowie der Rolle, welche Architektur und gebauter politischer Raum in diesem Zusammenhang spielen, schaffen. Es bedarf der Information der Öffentlichkeit, um Missstände zu beseitigen, solange es keine langfristig zufriedenstellende Planung gibt.
Während in Europa mit Stacheldrähten und Grenzzäunen offensichtliche Barrieren errichtet werden, beleuchtet die Ausstellung die institutionellen und sozialen Grenzen, die um Asylsuchende und rechtlich anerkannte Flüchtlinge entstehen. Unklare Informationslage und komplexe Regelwerke sind diese fluiden, unsichtbaren und schwer greifbaren Aspekte, die im Kontrast zu den neuen Grenzen von Europa nicht eindeutig festmachbar sind, so die Kuratoren Kolowratnik und Pointl.
Anhand von 13 raumanalytischen Kartografien und kritischargumentativer Essays stellen sie rechtliche, gesellschaftliche und wirtschaftliche Zusammenhänge dar und thematisieren, was abseits der allgegenwärtigen Bilder über Fluchtbewegungen kaum bekannt ist. Wie sehen die Räume der Flucht und des Wartens in Österreich aus? Wie wohnen die Leute auf dem Weg von ihren Herkunftsländern nach Österreich? Wie funktioniert das österreichische Asylwesen eigentlich? Oder wie kann die Wartezeit sinnvoll verbracht werden und ist Arbeiten überhaupt möglich?
„Fluchtraum Österreich“ ist als Gastedition der Zeitschrift Asyl Aktuell der Asylkoordination Österreich publiziert, die als Ausstellungskatalog dient und einen ganzen Satz der Kartierungen und Essays enthält. Es ist ausdrücklich erwünscht, die Plakate in Umlauf zu bringen und in Wirtshäusern oder Bushaltestellen zu zeigen. Die Ausstellung war im Sommer und Herbst 2015 erstmals in ausgewählten Asylquartieren wie dem Flüchtlingsintegrationsprojekt Bärenwirt im Kärntner Weitensfeld* zu sehen, wo die vorangegangene Feldrecherche stattgefunden hatte, und die lokale Bevölkerung zum Austausch geladen war. Im April 2016 wird sie in einem Remake und mit Rahmenprogramm in das Architektur Haus Kärnten nach Klagenfurt kommen und damit einen weiteren Impuls für die Öffentlichkeit und den Architekturdiskurs setzen. (Artikel: Gordana Brandner-Gruber)
Die Ausstellung Fluchtraum Österreich war auch als Aktion im Tonhof zum Langen Tag der Flucht am 25. September 2015 zu sehen. Foto: starke Orte
Eröffnung der Wanderausstellung im Flüchtlingsintegrationsprojekt Gasthof Bärenwirt in Weitensfeld am 30. August 2015 (Kuratorin Nina Valerie Kolowratnik mit Bewohnern des Gasthofs und Besuchern). Foto: starke Orte
Architektur Haus Kärnten: Ausstellung „Fluchtraum Österreich“.
Eröffnung: 7. April 2016 (geplant), Ausstellungsdauer 8. April – 13. Mai 2016
Stationen der Wanderausstellung 2015:
31. August – 24. September: Flüchtlingsintegrationsprojekt Gasthof Bärenwirt in Weitensfeld
25. September im Rahmen des Langen Tages der Flucht: Karlsplatz in Wien und Tonhof in Maria Saal als Aktion der Veranstaltung „tua eppas – sinnvoll warten“ www.langertagderflucht.at
27. September – 11. Oktober: Flüchtlingsheim Reichenau in Innsbruck www.asyl-in-tirol.at/tirols-fluechtlingsheime/fh-innsbruck
20. Oktober – 29. Jänner 2016: architekturforum oberösterreich in Linz www.afo.at
Auszeichnung: „Fluchtraum Österreich“ wurde mit einem ersten Preis beim internationalen Wettbewerb „Planetary Urbanism – Critique of the Present in the Medium of Information Design“ 2015 des Journal ARCH+ ausgezeichnet. www.archplus.net/home/planetaryurbanism/
Publikation: Die bei diesem Projekt entstandenen Texte und Mappings (13 raumanalytische Kartografien und kritisch-argumentative Essays) wurden als Gastedition von asyl aktuell Ausgabe 02/2015 publiziert. Bestellungen zum Preis von 15 Euro unter langthaler@asyl.at