Frankfurter Allgemeine Zeitung: "Aus einem Totenhaus"
Schroffe Avantgarde: Kärnten feiert den Architekten Günther Domenig.
Artikel von Matthias Alexander, Klagenfurt
Biographische Lesarten eines Werks sind immer heikel, mit Blick auf Architekten gilt das noch mehr als etwa für Schriftsteller oder Komponisten. Gehen Bauten doch zumeist aus einem stark fremdbestimmten Schaffensprozess hervor. Im Fall von Günther Domenig liegen die Dinge etwas anders. Der gebürtige Klagenfurter hat sich stets als Künstlerarchitekt verstanden und sich seinen Bauaufgaben mit einem hohem Eigensinn genähert, der den Bauherren einiges an Toleranz abverlangte. In Steindorf am Ossiacher See in seiner Kärntner Heimat steht ein Domenig in geradezu skulpturaler Reinform: Das Steinhaus hat er auf einem familieneigenen Grundstück mit eigenen Finanzmitteln allein nach eigenen Vorstellungen errichtet. Entstanden ist in 26 Jahren Planungs- und Bauzeit ein innerlich und äußerlich zerklüftetes Gebäude aus Beton, Stahl, Blech und Glas, das weitgehend Selbstzweck ist.
Es gab Zeiten, da wurde dieses Stück absoluter Architektur aus Luftaufnahmen des Seeufers wegretuschiert, weil es als störend für die Fremdenverkehrswerbung empfunden wurde. Das hat sich gewandelt, längst ist das touristische Potential dieses international rezipierten Bauwerks erkannt. Zehn Jahre nach Domenigs Tod widmet das Land Kärnten dem Architekten nun unter dem Titel „Dimensional" eine ganze Reihe von Ausstellungen und Veranstaltungen, die sich bis in den Herbst hinein erstreckt.
Kern der Würdigung ist eine umfassende Werkschau im Museum Moderner Kunst Kärnten in Klagenfurt. Dort wird anhand von Modellen, Zeichnungen und Fotografien deutlich, dass man allein am Beispiel des Werks von Günther Domenig eine Architekturgeschichte der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts schreiben könnte. Wohl kein Architekt auch außerhalb von Österreich hat so wie er alle relevanten Stilrichtungen in den Jahren nach 1960 erprobt, und zwar im Entwurf wie in der Praxis: Brutalismus, Strukturalismus, organische Architektur, Dekonstruktivismus. Nur eines findet man im Werk von Domenig nicht: jene Spielart der Postmoderne, die ostentativ mit historischen Stilzitaten gearbeitet hat. Säulchen, Friese, Kapitelle gibt es bei ihm nicht.
Domenig war immer Avantgarde, weshalb der Vorwurf des Modischen ihn trotz seiner stilistischen Wandlungsfähigkeit nicht trifft. Dass der Blick des 1934 geborenen Kärntners stets nach vorn ging, hatte mit seinen Eltern zu tun: beide waren glühende Nationalsozialisten, die ihre beiden Söhne entsprechend zu erziehen suchten. Der Vater, ein Richter, wurde 1944 im Auslandseinsatz von italienischen Partisanen erschossen. Domenig hat später gesagt, er meide den rechten Winkel und die Symmetrie, beides stand in seiner Sicht für die falschen Ordnungsvorstellungen der Nazis.
In seinem Spätwerk hat er mit dem Dokumentationszentrum auf dem Reichsparteitagsgelände in Nürnberg dann sogar die direkte Auseinandersetzung mit dem verhassten Bauerbe gesucht. Der nördliche Kopfbau der unvollendeten Kongresshalle wird durch einen begehbaren Keil aus Stahl und Glas durchbohrt - als Speer durch Speers Architektur hat Domenig seinen Entwurf einmal bezeichnet. Das Subtile war seine Sache nie, jedenfalls nicht in seiner Architektur.
Domenig war eine widersprüchliche Persönlichkeit, das wird in Äußerungen von Weggefährten deutlich, die in der Klagenfurter Ausstellung zu Wort kommen. Äußerlich wirkte der gut aussehende Liebhaber schneller Autos auf manche wie ein Playboy, zugleich war er ein ernsthafter, komplizierter Mensch, verletzlich und verletzend. Er war ein Charismatiker mit allenfalls gebrochenem Sendungsbewusstsein; als Architekt teamfähig, aber nur vorübergehend, was zu häufig wechselnden Projektpartnerschaften führte. Seine Äußerungen zum eigenen Werk schwanken zwischen poetischen Wortnebeln und derber Bildhaftigkeit (,,Arsch" nannte er einen Teil des Steinhauses). Kein Wunder, dass er die Tätigkeit als Hochschullehrer an der TU Graz vorzeitig quittierte, weil er sich im akademischen Betrieb beengt fühlte.
An der TU Graz hatte Domenig in den Fünfzigerjahren selbst studiert. Er war prägendes Mitglied der Grazer Schule, einer lockeren Vereinigung von jungen begabten Architekten, die maßgeblich auf die weitere Entwicklung der Architektur in Österreich und Deutschland wirken sollten. Typisch für Domenig - auf dem bekanntesten Gruppenbild der Schule fehlte er. Als zu deren Geschichte ein Band erschien, musste ein gesondertes Porträt Domenigs auf dem Cover hinzugefügt werden.
Einen ersten Höhepunkt in Domenigs Werk bildet die gemeinsam mit Eilfried Huth entworfene Katholische Pfarrkirche Oberwart, ein 1967 begonnener brutalistischer Bau, dessen Innenraum an Gottfried Böhms praktisch gleichzeitig errichteten Mariendom in Neviges erinnert. Nur wenige Jahre später folgte der Mehrzwecksaal der Schulschwestern Eggenberg in Graz, ein organoider, fast höhlenartiger Bau. Den Durchbruch stellte die Zentralsparkassenfiliale an der Wiener Favoritenstraße dar - mit schimmernden Edelstahlplatten verkleidet, die weit auskragende Fassade erinnerte an ein gepanzertes Schuppentier mit weit aufgerissenem Maul, während im Inneren alles eine große fließende Form ist, deren Details an Sehnen, Knochen und Adern erinnern. Ausgestellte Haustechnik und körperliche Bildhaftigkeit gehen eine Mesalliance ein. Darüber, ob hier die Grenze zum Kitsch überschritten ist, wird bis heute gestritten. Unstreitig ist, dass es heute im Finanzsektor keine Bauherren mehr gibt, die den Mut für einen solchen Entwurf aufbrächten.
Von der auch international stark beachteten Favoritenstraße aus hätte der Weg Domenigs in den internationalen Architekten-Jetset führen können, wie ihn die entfernten Verwandten von Coop Himmelb(l)au (man vergleiche den Querriegel der Frankfurter EZB mit dem Nürnberger Dokumentationszentrum) später einschlugen. Doch Domenig blieb Kärnten und der Steiermark verhaftet, obwohl an seiner Architektur nichts Regionalspezifisches war. Darüber ist ihm etwas anderes zugewachsen - die Aura des geschlossenen, überschaubaren, in einer Region verwurzelten Werks, was sich die Ausstellung geschickt zunutze macht.
Im Steinhaus, das während der Dauer der Schau permanent zugänglich ist, kulminiert die Entwicklung zu schroffen Formen und zu harten Materialien, die in den Achtzigerjahren mit einem Institutsgebäude für die TU Graz eingesetzt hat. Das Steinhaus liegt da wie ein Steinhaufen, und die wenigen Räume, die nicht Durchgangsorte sind, wirken wie Zelte, die ein Bergsteiger auf einem Felsvorsprung aufgebaut hat, um dort eine ungemütliche Nacht zu verbringen. Zugleich ist es der einzige dekonstruktivistische Bau, der den Betrachter nicht mit Restflächen verstimmt, die von der Nutzung nicht erfasst werden - mangels klarer Nutzungsabsicht im Ganzen.
Das Verstörendste am Steinhaus ist jedoch die Erfahrung, dass es das Ruinöse schon in sich trägt. Es kündet von den Traumata seiner Epoche und den Dämonen seines Architekten. Und davon, dass beide inzwischen Geschichte sind. Das wird es noch tun, wenn all die Holzhäuser unseres Jahrzehnts längst rückstandslos verrottet sein werden.
Günther Domenig: Dimensional. Museum Moderner Kunst Kärnten, Architektur Haus Kärnten, Domenig Steinhaus, Heft/Hüttenberg. Bis 16. Oktober. Ein Begleitband ist im Jovis Verlag erschienen und kostet 32 Euro.