Kleine Zeitung "Alles planieren oder doch lieber sanieren?"
Der geplante Totalabriss der Kanaltaler Siedlung in Villach zeigt, wie verschwenderisch auch heute noch mit Ressourcen umgegangen wird. Ein Buch dokumentiert den baukulturellen Problemfall in zahlreichen Facetten.
(Artikel von Erwin Hirtenfelder)
In St. Veit läuft gerade ein zweistufiger Architekturwettbewerb, bei dem die Sanierung der dortigen Kanaltaler Siedlung angestrebt wird. Auch in Klagenfurt wurde die einstige Wohnstätte von deutschsprachigen Auswanderern aus dem Kanaltal (siehe Info) vorbildlich revitalisiert.
Anders entschied man sich in Villach, wo bereits ein Teil der historischen Anlage der Spitzhacke zum Opfer fiel. Die restlichen zwei Drittel sollen laut den Plänen der landeseigenen Wohnbaugenossenschaft bis 2040 neuen Bauten weichen. Dabei hat die Landesregierung erst kürzlich beschlossen, dem Thema Nachhaltigkeit höchste Priorität einzuräumen. Konkret heißt es im Regierungsprogramm: „Jeder künftige Regierungssitzungsakt muss den Nachhaltigkeitszielen entsprechen.“
Die Erhaltung der Kanaltaler Siedlung hätte einen solchen nachhaltigen Nutzen, sagt Architekt Stefan Breuer, der in der Siedlung aufgewachsen ist. Während die Landeswohnbaugesellschaft die rund 80 Jahre alten Gebäude als „unsanierbar“ abgeschrieben hat, ist der Lehrende an der FH in Spittal fest davon überzeugt, dass eine Runderneuerung „ökologisch und in sozialer Hinsicht die beste Lösung“ wäre. Schließlich gelte die Siedlung mit ihren autofreien Höfen, Spielplätzen und Selbstversorgergärten als frühes Beispiel für das heute so modern gewordene „Urban Gardening“ – und als leistbare Alternative zum Einfamilienhaus. Eine ressourcenschonende Sanierung würde jedenfalls nicht mehr kosten als der geplante Neubau, nicht zuletzt dank der erst jüngst angepassten Landeswohnbauförderung für Altbestand. Zudem seien ähnliche Revitalisierungsprojekte in Bludenz oder Zwentendorf aus dem Klima- und Energiefonds des Bundes gefördert worden.
Noch leben ein paar Hundert Alteingesessene auf dem Plateau oberhalb des Villacher Bahnhofs. Eine von ihnen ist Edith Kapeller, einst Leiterin der Galerie Freihausgasse. Sie glaubt, den Grund zu kennen, warum eine Sanierung für die Landeswohnbaugesellschaft nicht sehr attraktiv ist: „Jede Wohnung hat um die 50 Quadratmeter und besitzt einen eigenen Garten. Insgesamt hat das Areal 30.000 Quadratmeter mit bester Aussichtsterrassenlage Richtung Süden. Auf diesem Areal sollen 25 bis zu sechsstöckige Wohnblöcke entstehen. Dabei wird nicht nur historische Bausubstanz, sondern auch eine einzigartige soziokulturelle Stadtoase mitzerstört.“
Zu den Abrissgegnern zählt auch Markus Lackner, seines Zeichens Miterbauer des Pyramidenkogelturms und Würdigungspreisträger des Landes für Baukultur. Dieser Tage präsentierte der Ziviltechniker gemeinsam mit seinen Mitstreitern ein Buch, das sich mit den verschiedenen Facetten der Villacher Siedlung auseinandersetzt, insbesondere mit deren wohnlichen Qualitäten, die schon Friedrich Achleitner in seinem österreichischen Architekturführer gewürdigt hatte. Auch Beiträge über den politisch-historischen Kontext, das Thema Stadtplanung, Klima und Umwelt, Interviews mit Betroffenen und ein Sanierungskonzept bereichern den 200-seitigen Bildband. Dazu kommen Fotos von Gisela Erlacher, die erahnen lassen, was für die heimische Baukultur und die Betroffenen auf dem Spiel steht.
Zwei leere Seiten, auf denen das Bauamt der Stadt Villach seine Sicht der Dinge hätte darlegen können, dokumentieren übrigens die Kluft zwischen Bürgerinitiative und Politik. „In der Regierung und der Verwaltung ist man offenbar der Meinung, dass Message Control und Amtsgeheimnis dafür sorgen, dass sich die Regierten nicht zu sehr aufregen müssen“, heißt es in einer ironischen Anmerkung und Lackner fügt bitter hinzu: „Bei einem solchen Demokratieverständnis ist es kein Wunder, dass 40 Prozent der Leute nicht mehr zur Wahl gehen oder komische Parteien wählen.“
Noch ist ein Großteil der Kanaltaler Siedlung intakt. Ob das auch so bleiben wird, hängt nicht zuletzt von der Landesregierung ab und deren Anstrengungen, als „Koalition der Nachhaltigkeit“ ernst genommen zu werden.