Kleine Zeitung: "Einblike in Kärntens reiche Baugeschichte"
Umsiedlung, Flucht, Vertreibung. Kanaltalersiedlungen sind landesweit bauliche Dokumentation von Auswandererschicksalen.
(Artikel von Martin Johain)
Im Zuge eines kulturellen Protestmarsches für den Erhalt der Kanaltalersiedlung in Villach, flammte die Debatte „Sanierung statt Neubau“ in ganz Kärnten wieder auf. Die achtzigjährigen Bauten verschwinden langsam aus Kärntens Architekturlandschaft. Ein Blick in die Geschichtsbücher schildert die komplexen Hintergründe. Als wichtige Verbindung zwischen dem Süden und dem Alpenraum stellte das Kanaltal über die Jahrhunderte hinweg mit seinen Schluchten, schroffen Bergformationen und vielen Flüssen ein wichtiges Durchzugsgebiet für zahlreiche Völker dar. Die Ambilici, die Umwohner der Gail und keltisierter alteuropäischer Volksstamm, nutzten Transportwege, die bis in das Kanaltal reichten, die Römer bauten ihre noch heute aus Warmbad bekannten Römerwege. Später, 1866, als das Kaiserreich Österreich-Ungarn Venetien an Italien verlor, wurde das Kanaltal zum Grenzgebiet. Beim Friedensvertrag von Saint-Germain, am 10. September 1919, wurde es Italien zugesprochen. Im Zuge der faschistischen und nationalsozialistischen Regierung wurde 1939 von Adolf Hitler und Benito Mussolini der sogenannte Stahlpakt unterfertigt und eine Umsiedlung von 212.000 Südtirolern und 4576 Kanaltalern geplant.
In einer Zeitspanne von drei Jahren wurde die Optionslösung – die erzwungene Möglichkeit für Deutschsprachige ins Deutsche Reich zu ziehen – mehrheitlich im Siedlungsgebiet Kärnten realisiert. Daraus resultierten schließlich die Kanaltalersiedlungen. In Spittal führt gegenüber der Einmündung der Brauhausgasse in die Jahnstraße geradeaus weiter die Kanaltaler Straße. Das etwa 200 Meter lange Wegstück mündet in die Koschatstraße ein. Sie hat mehr Erinnerungs- als Verkehrsfunktion, während des Zweiten Weltkrieges wurden dort Wohnblöcke errichtet und unter der Verwaltung der Neuen Heimat gestellt. Ein paar Straßen weiter, in der Tiroler Straße und 10.-Oktober-Straße, wird die Spittaler Kanaltalersiedlung von der LWBK bis 2025 per Reconstructing neu gebaut.
WOLFSBERG
Mit Erweiterung und Reconstructing
1938 wurde in Schwemmtratten, einer Ortschaft in der Gemeinde Wolfsberg, die damals noch zur Gemeinde Gösel gehörte, mit dem Bau der ersten sogenannten „Volkswohnungen“ begonnen. Die Siedlung wurde 1940 für Optanten aus dem Kanaltal und Südtirol erweitert. Ab Mitte der 50er Jahre begann die Gemeinde und die damalige Wohnbaugenossenschaft „Neue Heimat“ mit dem Bau von weiteren Wohnhäusern. Heute entsteht dort ein Reconstructing-Projekt der LWBK.
VILLACH
Aus „Alt mach Neu“ in Villach
Der erste Zug mit Umsiedlern aus dem Kanaltal kam am 17. Februar 1940 in Villach an. 81 Kanaltaler wurden in der Siedlung in Villach Lind untergebracht. Für den Bau zeichnet die heute noch bestehende Neue Heimat verantwortlich, erste Bauten entstanden in Klagenfurt, Villach, Spittal an der Drau und Wolfsberg. Heute kann man sich noch immer ein Bild von der Kanaltalersiedlung in Waidmannsdorf machen, jene in Villach wird – unter großem Protest der Anrainer – abgerissen. Es sollen neue, moderne Wohnhäuser entstehen.
KLAGENFURT
Aufwendige Sanierung in Waidmannsdorf
Auch in Klagenfurt errichtete man eine Kanaltalersiedlung. Vor Kriegsausbruch war der Siedlungsbau Teil eines Großprojektes, indem der Lendkanal umgegraben und eine riesige Infrastruktur hätte entstehen sollen: Schulen, Sportstätten und Geschäftsstellen – eine Stadt am Reißbrett. Der Kriegsausbruch verhinderte aber die Realisierung, übrig blieb letztlich nur der erste Bauabschnitt: Die Kanaltalersiedlung konnte noch fertiggestellt werden. Als bislang einzige noch bestehende Altsiedlung wurde diese von der Landeswohnbau Kärnten saniert.