Kleine Zeitung: "Geniale Verrücktheiten" und "Visionen eines Streitbaren"
MUSEUM MODERNER KUNST KÄRNTEN
Geniale Verrücktheiten
Das MMKK huldigt dem revolutionären Architekten und Künstler Günther Domenig.
Es gibt zwei Verrückte in diesem Land, der eine bist du, der andere bin ich“, sagte Günther Domenig nach einem Besuch von Cornelius Koligs „Paradies“ in Vorderberg. Der Satz prangt an einer Wand des Museums Moderner Kunst Kärnten, wo Kurator Andreas Krištof den Versuch unternahm, das Gesamtwerk Domenigs darzustellen und durch zeitgenössische künstlerische Positionen zu ergänzen. Mit bestechendem Erfolg.
„Ver-rückt“, und zwar im besten Sinn, war Domenig tatsächlich. Denn schon sein utopisches Modell für die Stadt Ragnitz, entworfen mit Eilfried Huth in den 1960ern, brach mit Sehgewohnheiten und gängigen Vorstellungen von Architektur. Biomorphe Bauten, tanzende Fassaden und radikale Inszenierungen des Raumes waren fortan das Markenzeichen des Architekturprofessors, der zum Aushängeschild der „Grazer Schule“ wurde – dank visionärer Projekte wie dem Mehrzwecksaal für die Grazer Schulschwestern, der Osterkirche in Oberwart oder dem Pavillon der Olympia-Schwimmhalle in München.
Neben exquisiten Originalzeichnungen, etwa vom Steinhaus oder der technoiden Z-Sparkasse, findet man in der Schau auch Bilder von Meisterfotografen, die das Schaffen des Baukünstlers begleiteten. Ferdinand Neumüller, bei dem sich Domenig mit einem Hausportal bedankte, steuerte neben fotografischen Abstraktionen auch einen Fremdenverkehrsprospekt bei, auf welchem das Steinhaus gnadenlos wegretuschiert wurde.
Während Anna Rubin das Schwebende in Domenigs Werk, präsent etwa am Klagenfurter Stadttheater, in der Wiener T-Mobile-Zentrale oder im Nürnberger NS-Dokumentationszentrum, zu einer raumfüllenden Installation verarbeitete, schuf Peter Sandbichler eine abgehängte Decke aus Recycling-Kartons, die Domenigs Architekturmodelle in interessantem, neuem Licht erscheinen lässt.
Der Meister ist auch in Gestalt einer Büste, samt Mütze aus einer Grazer „Elektra“-Inszenierung, gegenwärtig. Ein Schleudersitz aus dem Steinhaus erinnert an die Fluchtgedanken, die ihn in Kärnten öfters überkamen – etwa wenn ihn staunende Touristen am Ossiacher See auf sein „verrücktes Haus“ ansprachen.
Visionen eines Streitbaren
Vor zehn Jahren starb der Architekt Günther Domenig. Das Land Kärnten widmet dem Eroberer von neuen Dimensionen des Bauens an vier Schauplätzen ein würdiges Gedenken.
(Artikel von Erwin Hirtenfelder)
Günther Domenig war zwar verheiratet, blieb aber kinderlos. Als er am 15. Juni vor zehn Jahren starb, ging ein Teil seines baukünstlerischen Erbes an sein Heimatland über, das er einmal im Zorn als „Auschwitz der kulturellen Hoffnung“ bezeichnet hatte – stark überzogen, wie wir heute wissen. Denn sein Steinhaus am Ossiacher See, mittlerweile im Besitz des Landes Kärnten, wurde mit öffentlichen Mitteln zu Ende gebaut und im Vorfeld des runden Todestages auf Hochglanz poliert. Rund 225.000 Euro hat man in den vergangenen Jahren investiert, um den spektakulären Sichtbetonbau zu säubern und die letzten Schäden des Hochwassers von 2020 zu beseitigen.
Ab heute ist das „gebaute Gedicht“ und „Gegenteil eines Fertighauses“ einer von vier Schauplätzen eines groß angelegten Domenig-Gedenkens und vielleicht der beste Ort, um sich der vielschichtigen Persönlichkeit des mit 78 Jahren verstorbenen Architekten zu nähern. So glaubt es jedenfalls der Rechtsanwalt Wilfried Aichinger, der erst kürzlich als Vorstand der Domenig-Privatstiftung wiederbestellt wurde. Das Steinhaus sei „eine gebaute Biografie“, die neuerdings auch mit digitalen und akustischen Hilfsmitteln erfahrbar ist. Anstatt es als „Ausstellungsort zu überladen, wollen wir es in seiner reinen Körperlichkeit zeigen“, ergänzt Architektin Gordana Brandner-Gruber, die dem „ersten Haus am See“ vorsteht.
Mithilfe von QR-Codes kann man fortan den Reden des Bauherren lauschen, seine concordeartige Vogelskulptur „Nixnutznix“ in verschiedenen Ansichten betrachten und auf überraschende biografische Bezüge stoßen. Etwa auf das architektonische Motiv der Hand, das im Steinhaus in drei fingerartigen Betonpfeilern oder dem bogenartig in den See greifenden Badesteg wiederkehrt. Es sollen Reminiszenzen an eine Handverletzung sein, die sich der leidenschaftliche Eishockey- und Handballspieler einmal zugezogen hat.
Nach Überwindung eines „Klettersteigs“ können Steinhaus-Besucher auch Originalzeichnungen des Grazer TU-Professors, eine maßangefertigte Badewanne oder das mit einem Norman-Foster-Tisch und einem Ledersessel von Charles & Ray Eames ausgestattete „Cockpit“, also Domenigs Arbeits- und Schlafbereich, bestaunen. Während er seinem Zwillingsbruder auf dem 4000 Quadratmeter großen Seegrund ein Denkmal setzte, weist eine metallene „Peitsche“ zum Familiengrab nach Feldkirchen, wo der unruhige Geist 2012 seine letzte Ruhe fand. Die Züchtigungen, die der Sohn eines NS-Richters erfahren hatte, reflektiert eine „Huckepack“ genannte Auskragung, in der heute ein spartanisches Gästezimmer untergebracht ist. Huckepack-Tragen war beim einstigen Hitler-Jungen nicht sonderlich beliebt.
Während das Beton- und Stahlgebirge an die schroffen Berge von Domenigs Mölltaler Kindheit erinnert, ist der schwarze Steinhaufen davor ein Verweis auf ein anderes Hauptwerk des 1934 geborenen Klagenfurters: das Landesausstellungsgebäude in der Heft bei Hüttenberg. Der Haufen besteht nämlich aus Schlackensteinen von der dortigen Erzaufbereitungsanlage und birgt in seinem Inneren noch diverse Badeutensilien, darunter Domenigs Wasserski.
Die Neubelebung des Steinhauses als „Resonanzraum“ für andere Kunstformen, die bei der heutigen Eröffnung mit einer Tanzperformance („Habitat“) und bald darauf mit Konzerten des Carinthischen Sommers zelebriert werden soll, findet auch ihre Entsprechung in der fernen Heft. Rund 15 Jahre lag die umstrittene Hülle für die Landesausstellung von 1995 brach, war nach den Streitigkeiten um deren Revitalisierung gleichsam politisch vermintes Gebiet. Das hat sich in letzter Zeit geändert. „Es gibt jetzt eine neue Generation von Politikern, die das alles nicht mehr interessiert und die das Potenzial der Heft erkannt hat“, erklärt Architektur-Haus-Chefin Raffaela Lackner. In einer gemeinsamen Kraftanstrengung mit der Landesimmobiliengesellschaft gelang es, den beeindruckenden Industriebau aus dem Dornröschenschlaf zu küssen. „Zu unserer Überraschung hat alles noch gut funktioniert, bis hin zum Strom. Nur die WC-Anlagen mussten erneuert werden“, erzählt Lackner.
In den einstigen Leerstand ist mittlerweile ein Künstlerquartett eingezogen, das den Bau punktuell bespielt, Brigitte Mahlknecht etwa mit einem flügelartigen Riesengemälde, das an die Fliegerfantasien des einstigen Ferrari-Fahrers gemahnt. In Vitrinen wird auch die politische Vorgeschichte der Landesausstellung dokumentiert, bis hin zum Eklat, den der gerne als „Demonig“ geschimpfte „Grazenfurter“ bei der Eröffnung provozierte. Bis Mitte Oktober sollen in der Heft auch Workshops, Vorträge, Führungen und Konzerte stattfinden – im Sinne einer Forschungseinrichtung und Summer School, an der heuer acht Architekturhochschulen beteiligt sind.
„Insgesamt sind im Domenig-Jahr rund 150 Veranstaltungen geplant, darunter auch in Nürnberg, Wien oder Graz“, erklärt Lackner. Einige gehen auch im Klagenfurter Architektur Haus über die Bühne, wo ein Künstlerkollektiv zwei Domenig-Bauten als Diashow in Szene setzte: die futuristische Mensa für die Grazer Schulschwestern und den mittlerweile verblichenen Olympia-Pavillon in München.
„In Resonanz“ mit Günther Domenig gingen auch die Autorin Anna Baar und der Fotograf Gerhard Maurer. In ihrem gleichnamigen Bildband geben sie einen Überblick über dessen dekonstruktives, zuweilen auch brutalistisches Werk und dokumentieren dieses mit großer Poesie für die Nachwelt.
Günther Domenig: Dimensional
Steinhaus in Steindorf: Eröffnung heute, 19 Uhr, mit der Tanzperformance „Habitat“.
MMKK und Architektur Haus Kärnten, Klagenfurt: Eröffnung 11. Juni, 16 Uhr bzw. 17.30 Uhr.
Heft bei Hüttenberg: Eröffnung, 11. Juni, 19.30 Uhr.
Details: Günther Domenig: DIMENSIONAL (domenigdimensional.at)