Kleine Zeitung: " Höhenflüge eines Zerrissenen"
Höhenflüge eines Zerrissenen
PORTRÄT. Vor zehn Jahren starb Günther Domenig. Als Mitbegründer der Grazer Architekturschule schuf er Bauten, die tief in seiner Biografie wurzelten – und bis heute faszinieren.
(Artikel von Erwin Hirtenfelder)
Die berühmt-berüchtigte Hypo-Alpe-Adria-Bank hatte einmal die originelle Idee, ihre langjährigen Kunden mit Originalzeichnungen von Günther Domenig zu beglücken. So kam auch der Autor dieser Zeilen in den Genuss einer solchen. Als er dem Urheber davon erzählte, sagte dieser etwas verlegen: „Lossn S’ mi amol schauen...“. Nach eingehender Prüfung kam die Entwarnung: Der Meister hatte das unsignierte Blatt, das sich als Kritzelei zu seinem Grazer Resowi-Bau herausstellte, selbst geschaffen – und nicht einer seiner vielen Bürogehilfen.
Die kleine Anekdote wirft nicht nur ein bezeichnendes Licht auf die Geschäftspraktiken der längst verblichenen Skandalbank, sondern auch auf den unkonventionellen Künstlerarchitekten, der sich für seine Obsessionen kompromisslos in Schulden stürzte – und diese zuweilen mit „Naturalien“ abdiente.
Seine mit Abstand teuerste Leidenschaft war das sogenannte Steinhaus am Ossiacher See. Über zwei Jahrzehnte hinweg verwirklichte der gebürtige Klagenfurter hier seine Vorstellungen von skulpturaler Architektur und schuf dabei ein Gebirge aus Glas, Stahl und Beton, das letztlich seine persönliche Zerrissenheit widerspiegelt – mit all seinen Auskragungen, Klüften und Abgründen.
Vor allem an seiner nationalsozialistischen Erziehung hatte der Sohn einer NSDAP-Funktionärin und eines von Triestiner Partisanen ermordeten Bezirksrichters schwer zu tragen. An ihr arbeitete er sich zeitlebens ab, am intensivsten auf dem Nürnberger Reichsparteitagsgelände. Hier, wo einst Hitler seine Hass-Spektakel inszenierte, trieb er durch Albert Speers Kongresshalle symbolisch „einen Speer“, um so die Dämonen seiner Kindheit zu vertreiben. Entsprechend allergisch reagierte er auf braune Rülpser von Politikern, die er nicht selten mit verbalen Watschen quittierte. Seine Kärntner Heimat sei das „Auschwitz der kulturellen Hoffnung“, sagte er einmal. Seine Abschiedsvorlesung an der TU Graz, wo er Gebäudelehre, Wohnbau und Entwerfen unterrichtete, stellte er provokativ unter das Motto „Eine Abrechnung“.
Die Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten. Doch Kritik an seiner Person und seinen extravaganten Bauten, die er zuweilen mit Partnern wie Eilfried Huth, Hermann Eisenköck, Herfried Peyker oder Gerhard Wallner realisierte, schien den Feuerkopf nur zu beflügeln. Der „Demonig“ war eben anders. Alles, was er dachte, sagte und plante, schien aus der Norm zu sein, ob es nun sein Zubau für das Klagenfurter Stadttheater war, seine innovative Spritzbeton-Halle für die Grazer Schulschwestern oder sein gekrümmter Badesteg vor dem Steinhaus, für dessen Bewilligung er vier Jahre lang durch alle Instanzen ging.
Der Kabarettist Werner Schneyder hat einmal vermutet, dass der Schlüssel zur Baukunst seines Jugendfreundes „in der Bewältigung des Raumes durch Sprungkraft“ liege. Damit hätte der einstige Handball- und Eishockeytormann seine zierliche Gestalt kompensiert. „Nur einer, der die rasende Flugbahn des kleinen harten Handballs mit dem Fliegen des eigenen Körpers zu koordinieren gelernt hat, der also extreme Bewegungen synchronisieren kann, kann so bauen wie Günther Domenig“, befand Schneyder.
Die nachträglich mit einer freundlichen Widmung versehene Hypo-Gabe hat übrigens einen Ehrenplatz bekommen – als sichtbares Zeichen, dass Sprungkraft, Kreativität und Eigensinn zu Werken von bleibender Sprengkraft führen können.
Zur Person
Günther Domenig, geb. 6. Juli 1934 in Klagenfurt, gest. 15. Juni 2012 in Graz. War ein bedeutender Vertreter des Dekonstruktivismus und Brutalismus und als TU-Professor Mitbegründer der Grazer Architekturschule.
Aktuelle Veranstaltungen: domenigdimensional.at; kunsthausmuerz.at; hda-graz.at