Kleine Zeitung Graz: "Poetische Nachschau" und "Visionen eines Streitbaren"
Poetische Nachschau
Von einer Diashow über einen Bildband bis zu Exkursionen und Ausstellungen: 150 Veranstaltungen erinnern an Domenig.
Insgesamt sind im Domenig-Jahr rund 150 Veranstaltungen geplant, darunter neben den Schwerpunkten in Kärnten und der Steiermark auch in Wien oder Nürnberg“, erklärt Raffaela Lackner. Einige gehen im von ihr geführten Klagenfurter Architekturhaus über die Bühne, wo ein Künstlerkollektiv zwei Domenig-Bauten als Diashow in Szene setzte: die futuristische Mensa für die Grazer Schulschwestern und den mittler[1]weile verblichenen Olympia[1]Pavillon in München. „In Resonanz“ mit Günther Domenig gingen auch die Autorin Anna Baar und der Fotograf Gerhard Maurer. In ihrem gleichnamigen Bildband (Verlag Jovis, 256 Seiten, 32 Euro) geben sie einen poetischen Überblick über dessen dekonstruktivistisches, zuweilen auch brutalistisches Œuvre, das in seiner Gesamtheit vor allem im Museum Moderner Kunst in Klagenfurt (MMKK) aufgearbeitet wird. Das Grazer Haus der Architektur widmet Domenig ab dem 25. Juni zahlreiche Führungen, Vorträge und Exkursionen – auch zu dessen Steinhaus am Ossiacher See. Im Juli stehen stadtprägende Stahl- und Glas-Architekturen auf dem Programm – von der Fußgängerbrücke über die Mur bis hin zum Resowi-Zentrum; Hermann Eisenköck bietet am 14. Juli eine Spezialführung durch dieses riesige Universitätsgebäude, das er mit Domenig in den 1990er-Jahren entworfen hatte. Und das kunsthaus muerz in Mürzzuschlag zeigt ab Ende Oktober die von Michael Zinganel kuratierte Ausstellung „Wir Günther Domenig“.
Termine:
Steinhaus in Steindorf: Eröffnung heute, 19 Uhr, mit der Tanzperformance „Habitat“.
MMKK und Architektur Haus Kärnten, Klagenfurt: Eröffnung 11. Juni, 16 Uhr bzw. 17.30 Uhr.
Heft bei Hüttenberg: Eröffnung, 11. Juni, 19.30 Uhr
Haus der Architektur, Graz: Schwerpunkte zu Günther Domenig von 25. Juni bis 8. Oktober. hda-graz.at
kunsthaus muerz: „Wir Günther Domenig“: 22. Oktober bis 4. Februar. kunsthausmuerz.at
Visionen eines Streitbaren
Vor zehn Jahren starb der Architekt Günther Domenig. In Kärnten und der Steiermark ist dem Erforscher neuer Dimensionen des Bauens ein würdiges Gedenken gewidmet.
Es gibt zwei Verrückte in diesem Land, der eine bist du, der andere bin ich“, sagte Günther Domenig nach einem Besuch von Cornelius Koligs „Paradies“ in Vorderberg. Der Satz prangt an einer Wand des Museums Moderner Kunst Kärnten, wo versucht wird, das Gesamtwerk Domenigs darzustellen und durch zeitgenössische künstlerische Positionen zu ergänzen. Mit bestechendem Erfolg. „Verrückt“, und zwar im besten Sinn, war Domenig tatsächlich. Schon sein utopisches Modell für die Stadt Ragnitz, entworfen mit Eilfried Huth in den 1960ern, brach mit gängigen Vorstellungen von Architektur. Biomorphe Bauten, tanzende Fassaden und radikale Inszenierungen des Raumes waren fortan das Markenzeichen des Architekturprofessors, der zum Aushängeschild der „Grazer Schule“ wurde – dank visionärer Projekte wie dem Mehrzwecksaal für die Grazer Schulschwestern, der Osterkirche in Oberwart oder dem Pavillon der Olympia-Schwimmhalle in München. Günther Domenig war zwar verheiratet, blieb aber kinderlos. Als er am 15. Juni vor zehn Jahren starb, ging ein Teil seines baukünstlerischen Erbes an sein Heimatland Kärnten über, das er einmal im Zorn als „Auschwitz der kulturellen Hoffnung“ bezeichnet hatte – stark überzogen, wie wir heute wissen. Denn sein Steinhaus am Ossiacher See, mittlerweile im Besitz des Landes Kärnten, wurde mit öffentlichen Mitteln zu Ende gebaut und im Vorfeld des runden Todestages auf Hochglanz poliert. Rund 225.000 Euro hat man in den vergangenen Jahren investiert, um den spektakulären Sichtbetonbau zu säubern und die letzten Schäden des Hochwassers von 2020 zu beseitigen.
Ab heute ist das „gebaute Gedicht“ und „Gegenteil eines Fertighauses“ einer von vier Kärntner Schauplätzen eines groß angelegten Domenig-Gedenkens und vielleicht der beste Ort, um sich der vielschichtigen Persönlichkeit des mit 78 Jahren verstorbenen Architekten zu nähern. So glaubt es jedenfalls der Rechtsanwalt Wilfried Aichinger, Vorstand der Domenig-Privatstiftung. Das Steinhaus sei „eine gebaute Biografie“, die neuerdings auch mit digitalen und akustischen Hilfsmitteln erfahrbar ist. Anstatt es als „Ausstellungsort zu überladen, wollen wir es in seiner reinen Körperlichkeit zeigen“, ergänzt Architektin Gordana Brandner Gruber, die dem „ersten Haus am See“ vorsteht. In diesem kann man nach Überwindung eines „Klettersteigs“ unter anderem Originalzeichnungen des Künstlerarchitekten, eine maßangefertigte Badewanne oder das mit einem Norman-Foster-Tisch und einem Ledersessel von Charles & Ray Eames ausgestattete „Cockpit“, also Domenigs Arbeits- und Schlafbereich, bestaunen. Während er seinem Zwillingsbruder auf dem 4000 Quadratmeter großen Seegrund ein Denkmal setzte, weist eine metallene „Peitsche“ zum Familiengrab nach Feldkirchen, wo der unruhige Geist 2012 seine letzte Ruhe fand. Die Züchtigungen, die der Sohn eines NS-Richters erfahren hatte, reflektiert eine „Huckepack“ genannte Auskragung, in der heute ein spartanisches Gästezimmer untergebracht ist. Huckepack-Tragen war beim einstigen Hitler-Jungen nicht sonderlich beliebt. Während das Beton- und Stahlgebirge an die schroffen Berge von Domenigs Mölltaler Kindheit erinnert, ist der Steinhaufen davor ein Verweis auf ein anderes Hauptwerk des 1934 geborenen Klagenfurters: das Landesausstellungsgebäude in der Heft bei Hüttenberg. Der „Schwarze Berg“ besteht nämlich aus Schlackensteinen von der dortigen Erzaufbereitungsanlage und birgt in seinem Inneren noch diverse Badeutensilien, darunter Domenigs Wasserski. Die Neubelebung des Steinhauses als „Resonanzraum“ für andere Kunstformen findet auch ihre Entsprechung in der fernen Heft bei Hüttenberg (Bezirk St. Veit/Glan). Rund 15 Jahre lag die umstrittene Hülle für die Landesausstellung von 1995 brach, war nach den Streitigkeiten um deren Revitalisierung gleichsam politisch vermintes Gebiet. Das hat sich in letzter Zeit geändert. „Es gibt jetzt eine neue Generation von Politikern, die das alles nicht mehr interessiert und die das Potenzial der Heft erkannt hat“, erklärt Raffaela Lackner, Chefin des Architekturhauses Kärnten. In einer gemeinsamen Kraftanstrengung mit der Landesimmobiliengesellschaft gelang es, den beeindruckenden Industriebau aus dem Dornröschenschlaf zu küssen. „Zu unserer Überraschung hat alles noch gut funktioniert, bis hin zum Strom. Nur die WC-Anlagen mussten erneuert werden“, erzählt Lackner. In den einstigen Leerstand ist mittlerweile ein Künstlerquartett eingezogen, das den Bau punktuell bespielt, Brigitte Mahlknecht etwa mit einem flügelartigen Riesengemälde, das an die Fliegerfantasien des begeisterten Ferrari-Fahrers gemahnt. In Vitrinen wird auch die politische Vorgeschichte der Landesausstellung dokumentiert, bis hin zum Eklat, den der gerne als „Demonig“ geschimpfte „Grazenfurter“ bei der Eröffnung provozierte. Bis Mitte Oktober sollen in der Heft Workshops, Vorträge, Führungen und Konzerte stattfinden – im Sinne einer Summer School, an der heuer acht Architekturhochschulen beteiligt sind.