Kleine Zeitung_04.06.2014_"Die Konflikte wurden nie aufgearbeitet"
"Die Konflikte wurden nie aufgearbeitet"
Der Kulturwissenschaftler Martin Walde schrieb ein Buch über den Hass auf die eigene Sprache und spricht darüber im Rahmen der Sorbischen Kulturwoche in Klagenfurt.
In Klagenfurt werden heute "Sorbische Kulturtage" eröffnet. Manche werden dabei an einen Druckfehler denken. Wer sind die Sorben?
MARTIN WALDE: Ein kleines Volk in der Lausitz. Die Metropole für die Sorben in der Oberlausitz ist Bautzen in Sachsen, für die Niederlausitz ist das Cottbus in Brandenburg.
Ist das Sorbische eine eigene Sprache oder lediglich ein slawischer Dialekt?
WALDE: Das sind sogar zwei Sprachen. Es gibt das Obersorbische und das Niedersorbische, die auch auf zwei Stämme zurückgehen. Das Obersorbische ähnelt dem Slowakisch-Tschechischen, das Niedersorbische vom Klang her eher dem Polnischen.
Wie viele Sorben leben heute in Deutschland?
WALDE: Man geht von 60.000 aus. Sorbisch gesprochen wird mittlerweile freilich weniger. Das sorbische Sprachgebiet ist durch die gewaltsame Germanisierung stark geschrumpft.
Sie haben ein Buch geschrieben mit dem Titel: "Wie man seine Sprache hassen lernt". Ist die Germanisierung die Ursache für diesen Hass?
WALDE: Absolut. Als 1871 das deutsche Kaiserreich gegründet wurde, durfte es die Sorben nicht geben, weil man sich stark über die deutsche Kultur definiert hat. Die Sorben wurden verfolgt wie alle slawischen Völker, insbesondere in der NS-Zeit. Darüber sollte nie offen gesprochen werden. Auch nicht in der DDR, deren Gründungsmythos 1949 der Antifaschismus war. Für die DDR-Ideologen waren alle Nazis plötzlich drüben im Westen und die Sorben Sieger der Geschichte. Nationalitätenkonflikte durfte es in der DDR nicht geben. Doch die Vorurteile blieben. Außerdem waren Sorben christlich-bäuerlich geprägt, sie hatten keine sozialistische oder Arbeiterkultur.
Wurde die Situation nach der Wende besser?
WALDE: Nach 1989 hieß es: Ihr seid jetzt frei, hört doch endlich auf zu jammern! Aber auch jetzt wurden die Konflikte nie aufgearbeitet. Ich selber habe Probleme mit den Sorben, wenn ich sage, dass wir unter Minderwertigkeitskomplexen leiden.
Manches kommt einem Kärntner Zuhörer bekannt vor. Welche Parallelen sehen Sie zum Schicksal der Kärntner Slowenen?
WALDE: Bei allen Gemeinsamkeiten gibt es einen großen Unterschied: Die Kärntner Slowenen haben ein Mutterland. Die Sorben hatten nie eine staatliche oder kirchliche Obrigkeit. Sie lebten in zwei Ländern, in Sachsen und Preußen bzw. Brandenburg. Seit der Reformation sind sie auch noch konfessionell gespalten. Die Protestanten sind auf drei Landeskirchen verteilt, die Katholiken in zwei Diözesen.
Die sorbische Minderheit ist also sehr inhomogen?
WALDE: Ja. Die Spaltung der Sorben von außen bewirkte auch stets die kulturelle Entzweiung im Inneren. Deshalb sprechen sie verschiedene Dialekte, haben zahlreiche Brauchregionen und verschiedene Trachtenregionen. So gab es nicht nur zwischen Oberlausitzern und Niederlausitzern Differenzen, sondern selbst zwischen den Regionen, was sich bis heute auswirkt. Die Sorben haben auch keine demokratisch legitimierte Volksvertretung, weshalb sie nicht mit einer Stimme sprechen.
Ihr kürzlich verstorbener Bruder Georg Walde war lange Zeit Hochschulseelsorger und Priester in Klagenfurt. Von seinen sorbischen Wurzeln wussten nur die wenigsten. War er so gesehen ein typischer Sorbe?
WALDE: Ja, ganz nach dem Motto: Keiner soll wissen, dass ich Sorbe bin. Mein Bruder hatte sicher seine Traumata. Wir haben untereinander nur Sorbisch gesprochen. Aber rief er mich von Klagenfurt an und es war jemand in seiner Nähe, dann sprach er sofort Deutsch. Viele Sorben haben zweifellos einen gewissen Selbsthass entwickelt.
(INTERVIEW: ERWIN HIRTENFELDER)
Lebenszeichen einer Lausitzer Minderheit
KLAGENFURT. Karl-Markus Gauß und Peter Handke haben dem sorbischen Volk literarische Denkmäler gesetzt, etwa mit dem Reisebericht "Die Slawen von nebenan" oder mit dem Roman "Der Bildverlust". Der Kärntner Architekt und Maler Karl Vouk ist diesem Beispiel gefolgt und hat in dreijähriger Arbeit "Sorbische KulturTage" auf die Beine gestellt. Die Früchte seiner Recherche sind ab heute in Klagenfurt zu bewundern. Während im Architektur Haus Kärnten Einblick in Geschichte und Gegenwart dieser slawischen Minderheit gegeben wird, werden im Künstlerhaus Gemälde, Grafiken und Skulpturen von sorbischen Zeitgenossen gezeigt. Ihnen voran: der 91-jährige Jan Buck, der es mit seinen expressiven Abstraktionen zum Doyen der Lausitzer Malerei brachte. Aber auch archaische Skulpturen und Holzschnitte von Barbara Wiesner (alias Borbora Wiesnerec) stechen aus der Vielfalt hervor, ebenso wie feine Drahtarbeiten von Sophie Natuschke (Sophie Natuskec).
Im Klagenfurter Musilhaus wird der Ausstellungsreigen kommende Woche fortgesetzt: mit Buchillustrationen sowie Lesungen von Autoren wie Jurij Koch, der einst Peter Handke mit der sorbischen Kultur vertraut gemacht hatte. Ein umfangreicher Katalog begleitet das kräftige Lebenszeichen einer Minderheit, die seit Jahrzehnten mit dem Verlust von Sprache und Heimat zu kämpfen hat. Dafür verantwortlich sind unter anderem der Braunkohletagebau, der allein im 20. Jahrhundert 136 Dörfer verschwinden ließ, frei nach dem Motto: "Gott schuf die Lausitz und der Teufel grub die Kohle ein." Den Rest besorgten Assimilationsdruck und innere Zerstrittenheit.
(Text: ERWIN HIRTENFELDER)