Kleine Zeitung_2015.07.08_Von der Konkreten Poesie konnte ich nicht leben
„Von der Konkreten Poesie konnte ich nicht leben"
Friedrich Achleitner, Dichter und Architekturkritiker von internationalem Format, hat sich mit seinem „Wortgesindel“ an den Wörthersee begeben. Im Klagenfurter Napoleonstadel beichtete uns der 85-Jährige einige seiner Jugendsünden.
ZUR PERSON
Friedrich Achleitner,geb.am 23.5.1930 in Schalchen (OÖ). Studium bei Clemens Holzmeister an der Wiener Kunstakademie. War von 1953 bis 1958 freischaffender Architekt und ab 1955 Mitglied der Wiener Gruppe. Bis 1998 lehrte er Architektur geschichte an der Wiener „Angewandten“. Ab 1965 Arbeit am Führer „Österreichische Architektur im 20. Jahrhundert”, von dem bisher fünf Bände erschienen sind.
Sie sind als Dichter und Architekturkritiker seit Jahrzehnten ein unverzichtbarer Teil des heimischen Kulturbetriebs. Welche Rollen spielen beide Bereiche in Ihrem heutigen Leben?
FRIEDRICH ACHLEITNER: Ich habe eigentlich schon vor fünf Jahren aufgehört, mich mit Architektur zu beschäftigen. Für mich war das ja immer die Knochenarbeit und die Literatur das Vergnügen. Ich bin gerade beim Aufarbeiten dessen, was sich in der Schublade angesammelt hat. Ich habe viele Texte, die ich entweder wegschmeiße oder aus denen ich noch etwas machen werde.
Neben dem Band „Wortgesindel“ ist erst dieser Tage „Achleitners Blick auf Österreichische Architektur nach 1945“ erschienen. Untätig in Sachen Baukultur waren Sie also doch nicht ganz?
ACHLEITNER: Es rennt einem ja immer was nach, wenn man sich 50 Jahre mit einer Sache beschäftigt hat. Ich hätte nie mehr Vorlesungen gemacht, wenn mich nicht Roland Gnaiger dazu überredet hätte. So ist ein Buch entstanden, basierend auf meinen Linzer Vorlesungen, das nie geplant war, aber offenbar recht begehrt ist.
Kärnten kommt darin nur am Randevor. Warum?
ACHLEITNER: Es sind tatsächlich nur fünf Projekte darunter, etwa Domenigs Ausstellungsgebäude in der Heft oder Manfred Kowatschs Haus Kolig auf der Gerlitzen. Es tut mir sehr leid, dass nicht eine Sonja Gasparin oder Eva Rubin darin vorkommen. Aber die Auswahl nahm Rücksicht auf die Bedürfnisse meiner Linzer Studentinnen und Studenten, Anregungen zum Besuch der Bauten, und da haben sich in erster Linie Objekte zwischen Wien und Vorarlberg angeboten.
Aber auch Ihr Architekturführer für Kärnten, Steiermark und Burgenland lässt Kärnten architektonisch etwas unterbelichtet erscheinen.Warum ist das so?
ACHLEITNER: Der Kärnten Band ist 1983 erschienen. Die Begehungen fanden einige Jahre vorher statt, und viele gute Bauten sind oft viel später entstanden. Und natürlich war die Dichte der Bauten nicht so groß wie in anderen Bundesländern. Das liegt sicher auch an der Politik. So viel Ignoranz gegenüber der Kultur gibt es in keinem anderen Bundesland. Kärnten ist leider kein guter Boden für Architekten. Viele sehr bedeutende Künstler sind daher nach dem Studium in Wien oder Graz geblieben, oder ins Ausland gegangen. Das hat, glaube ich, dem Land sehr geschadet.
Wie sind Sie eigentlich Architekturkritiker geworden?
ACHLEITNER: Meine Freunde hatten ja das Glück, dass sie bei der Mama gewohnt und gegessen haben. Ich dagegen musste mich als Student aus Oberösterreich selber erhalten. Von der Konkreten Poesie konnte ich aber nicht leben. Dorothea Zemann, die Freundin vom Doderer, hat daher einmal zu mir gesagt: „Warum schreibst du nicht über Architektur?“. Da gab es auch die Erika Hanel, die Chefin vom Pen Club und der Kulturredaktion der Abendzeitung. Das war so ein Revolverblattl, wo alle unter einem Pseudonym geschrieben haben. Also habe ich dort mit der Kolumne „Bausünden“ angefangen, mit dem Schlimmsten, was man so machen kann.
Inwiefern schlimm?
ACHLEITNER: Weil man in so einer Kolumne jeden beleidigt. Die Sache war die: Wenn ich einen zerstört habe, hatte ich 100 Freunde, wenn ich einen lobte, 100 Feinde.
Haben Sie wirklich Architektenkarrieren zerstört?
ACHLEITNER: Zerstört ist vielleicht übertrieben. Ich habe in den ersten zehn Jahren eine sehr harte, ja engstirnige Kritik gemacht. Kritik können nur junge Leute machen, die zu wenig wissen. Als ich 1965 mit dem Architekturführer angefangen habe, veränderte sich meine Wahrnehmung. Während ich am Anfang nur nach Baufehlern suchte, habe ich später auf die guten Sachen und unterschiedlichen Positionen geschaut und mich gefragt: Was ist da dran? Was wollen die Leute? Und man kommt drauf: Da ist überall was dran und man wird automatisch toleranter.
Haben Sie vielen unrecht getan?
ACHLEITNER: Na klar, furchtbar unrecht. Es gab auch Verletzungen. Unsere Feinde waren die sogenannten Geschäftsarchitekten, die in den 1950ern alles gebaut haben: Büros, Siedlungen etc. Da hat man natürlich sehr viel zum Aussetzen gehabt. Wenn man sich das mit 50 Jahren Abstand anschaut, dann muss man gestehen: Die waren oft gar nicht so schlecht, wie wir geglaubt haben. Es ist das Vorrecht der Jungen, die Väter zu morden. Die Großväter sind ja wieder in Ordnung.
Haben auch prominente Planer ihre Watschen abbekommen?
ACHLEITNER: Harry Glück zum Beispiel. Mit ihm habe ich mich mittlerweile versöhnt. Er ist jetzt 90. Wir reden wieder miteinander.
Gibt es eine Spezies von Architekten, die Sie trotz Ihrer heutigen Toleranz nicht ausstehen können?
ACHLEITNER: Man hat ja seine Vorurteile. Vor allem gegenüber den Stararchitekten, die auf der ganzen Welt ihre goldenen Eier legen, ohne sich um das Umfeld zu kümmern. Mich dagegen interessiert die Vielfalt und Sachen, die aus einem Kulturraum heraus entstehen. Ich habe mich immer um Architekten gekümmert, die es schwer hatten und nicht von vornherein akzeptiert wurden. Die Stars helfen sich eh selber.
Wie würden Sie Ihre eigene Karriere als Dichter sehen, gab es auch für Sie Verletzungen?
ACHLEITNER: Nein, man hat uns einfach nur ignoriert. Es hat ja kaum jemanden gegeben, der über uns geschrieben hat.
Haben Sie noch Kontakt zu Mitgliedern der Wiener Gruppe?
ACHLEITNER: Den gibt’s nur noch mit dem Gerhard Rühm. Er lebt zwar in Köln, ist aber öfters in Wien. Ich bin auch befreundet mit dem Ossi Wiener. Aber wir tauschen uns nicht mehr aus seit er Philosoph und Wahrnehmungstheoretiker ist. Davon verstehe ich zuwenig. Und die anderen – der Artmann, der Konrad Bayer – sind ja schon längst tot.
Sie sind nach Klagenfurt gekommen, um im Napoleonstadel Ihre jüngsten Werke zu präsentieren. Werden Sie als Mann der Konkreten Poesie die Gelegenheit nützen und in den Wörthersee springen?
ACHLEITNER: Nicht unbedingt. Ich habe gerade ein Jahr lang an einer Viruserkrankung laboriert und eine Zeit lang nicht einmal gehen können. Außerdem ist das Schwimmen im Alter sehr gefährlich. Le Corbusier ist mit 78 Jahren beim Baden ertrunken. Er ist ins Meer gegangen, hat einen Krampf gekriegt und weg war er.
(INTERVIEW: ERWIN HIRTENFELDER)