Kleine Zeitung_23.02.2012_ Architektur schafft Orientierung
„Architektur ist das Schaffen von Kulturraum. Man könnte auch von einer Umweltgestaltung im kulturellen und räumlichen Sinn sprechen“, betonte Eva Rubin in Ihrer Eigenschaft als Jury-Sprecherin anlässlich der Verleihung des Bauherrenpreises 2011 für Bauten oder Freiraumgestaltungen aus ganz Österreich. Wie politisch Architektur sein kann, schildert die engagierte Architektin im Interview.
Um den Bauherren-Preisträger 2011 ermitteln zu können, haben Sie mit ihren beiden Jury-Kollegen Otto Kapfinger aus Wien und Jurij Sadar aus Laibach ganz Österreich über mehrere Tage bereist. Kurz gefragt: Welches Bundesland ist in puncto Architektur vorbildlich?
EVA RUBIN: Der Bauherren-Preis 2011 wurde in einem Auswahlverfahren unter 123 eingereichten Projekten vergeben. Die Nominierungsjurys wählten maximal fünf Objekte pro Bundesland für die Bereisung der Hauptjury, aus denen dann fünf Preise und 32 Nominierungen hervorgingen. Diese hat festgestellt, dass in
ganz Österreich ein hohes architektonisches Niveau erlebt werden konnte.
Anlässlich der Bauherren-Preisverleihung haben Sie Architektur auch im Zusammenhang mit Kultur gebracht. Würden Sie das näher erläutern? Könnte man sagen, dass Architektur auch einen gesellschaftlichen Bezug hat – oder: Kann der Architektur auch eine realitätskonstruierende Funktion zugewiesen werden?
RUBIN: Architektur ist immer Ausdruck einer Kultur. Ich habe versucht einen Zusammenhang zwischen kulturellen Äußerungen und den daraus resultierenden architektonischen Konzepten zu verdeutlichen. Die Bauform ist im Hinblick auf die ihr zugrundeliegende Haltung, ihren Inhalt, also lesbar. Das gilt sowohl für das öffentliche Bauen als auch für den privaten Wohnbau. Ein Beispiel zum Verständnis: Man kann beobachten, dass das Bedürfnis nach Repräsentation, optischer Dominanz in Richtung Europas Norden hin abnimmt und diese visuelle Unaufgeregtheit wirkt meiner Erfahrung nach sehr entspannend. Ein Phänomen, dass man mit der Wesensart der Nordländer durchaus in Verbindung bringen kann.
Reicht es, wenn wir über Architektur nur im Zusammenhang mit dem Wohnen sprechen oder sollten nicht auch die öffentlichen Räume und Infrastruktur in die Überlegungen einbezogen werden?
RUBIN: Ihre Frage macht deutlich, dass Wohnbau, öffentlicher Raum und Infrastruktur als verschiedene Problemstellungen gelten – genau das ist ein Dilemma, dass es zu lösen gilt. Wohnbau in Form von Blöcken, welche in einem „Belichtungsabstand“ auf der grünen Wiese verstreut werden, muss endlich aufhören.
Welche Bauformen kommen den Bedürfnissen der Menschen entgegen?
RUBIN: Die Formen der Verdichtung sind vielfältig. Grundlegend aber ist der Zusammenhang zwischen der Gebäudestruktur und einem wohnlichen Angebot von öffentlichen Räumen zur Erschließung und Begegnung. Ein wichtiger Aspekt dabei ist, dass Auto und Fußgänger getrennt zu organisieren sind! Die Notwendigkeit des „Engerzusammenrückens“ angesichts der Unwiederbringlichkeit verbauter Flächen, der kostbaren Ressource Landschaft, sollte endlich in das Bewusstsein der Menschen dringen, der Zusammenhang von Lebensqualität und Bauform nicht traditionell, sondern zeitgemäß beantwortet werden. Das heißt: Haus und Garten nicht als einzeln stehende „Villa“ im 3-Meter-Randabstand Grundgrenze zu verstehen, sondern aneinandergekoppelt mit akustischem und optischem Schutz zwischen den Außenbereichen, zum Beispiel in Form von Mauern oder Hausvor- und rücksprüngen. – Es geht um Privatheit im Wechsel mit Gemeinschaft, verkehrsfreie ungestörte Begegnungsräume für Kinder und alte Menschen gleichermaßen, die am „Leben“ der Wohnstruktur teilhaben und in dieses auch gestaltend eingreifen können.
Wohnhaus oder Wohnblock. Oder gibt es möglicherweise eine Hybridlösung und wie könnte die aussehen? Und wie lässt sich die soziokulturelle Ausdrucksform synchronisieren?
RUBIN: Die von Ihnen angesprochene Hybridlösung, also eine Mischung aus zwei- bis viergeschoßigen Wohnhäusern oder –blöcken biete ich in meinen Siedlungsplanungen an. Hausgröße und Wohnungsangebot stehen in einem strukturellen Zusammenhang. Große Wohnungen für Familien mit Kindern, z. T. zweigeschoßig mit direktem Gartenzugang, sowie kleinere Wohnungen mit Loggien in den oberen Geschoßen. Dieses abwechslungsreiche Angebot von Wohnformen bedingt auch eine lebendige Mischung des Nutzerprofils. Wie enorm groß der Einfluss des Milieus, in dem man aufwächst, für die Persönlichkeitsentwicklung ist, kann jeder an sich selbst beobachten. Die daraus resultierende Verantwortung derer, die dieses Umfeld errichten und gestalten, kann in dieser Zeit gar nicht ernst genug genommen werden.
EVA RUBIN
Studium an der Akademie für Angewandte Kunst, Diplom 1969, Preis der Stadt Wien.
Seit 1985 selbständige Architektin in Kärnten.
Preise: 1989 und 1994 Anerkennungspreis des Landes Kärnten; 1996 Anerkennungspreis im Rahmen Wettbewerb TU Wien, „Sonnengestützte Niedrigenergiehäuser“; 1997 G.-Domenig-Sonderpreis; 1999 Frauenkulturpreis; 2001 Anerkennungspreis des Landes Kärnten; 2009 Landeskulturpreis.
Arbeitet im Bereich Wohnbau (Einzelhäuser, Siedlungen); Kindergarten, Schulbau, Pfarrzentrum; Umbauten (Geschäfte, Möblierungen)
BAUHERRENPREIS
Der Preis wird seit 1967 von der Zentralvereinigung der Architektinnen und Architekten Österreichs jedes Jahr ausgelobt und vergeben.
Bis heute zählt diese undotierte Auszeichnung zu den prestigereichsten Architekturpreisen im Land.
Funktionalität, Formgebung und gesellschaftliche Relevanz vorbildlicher Bauwerke und Freiraumgestaltungen werden damit gewürdigt, für deren Konzeption und Ausführung das Engagement der Bauherrschaft und ihre Kooperation mit den Planern und Planerinnen zum Gelingen beitrug.
Infos: www.zv-architekten.at