NACHRUF Giselbert Hoke
Giselbert Hoke starb Ende April in Klagenfurt im Alter von 87 Jahren im Kreis seiner Familie. Er war einer der ganz großen zeitgenössischen Maler des Alpen-Adria-Raumes und verbrachte den größten Teil seines Lebens in Kärnten und wurde mit seinen monumentalen Fresken am Klagenfurter Bahnhof bekannt. 1974 wurde er als Professor an die Technische Universität Graz berufen und leitete das von ihm gegründete Institut für künstlerische Gestaltung und prägte dabei auch viele Architekturstudenten.
Architekt Roland Winkler und Architektin Todorka Iliova verfassten zwei persönliche Nachrufe für Giselbert Hoke, einer starken Persönlichkeit und einem außergewöhnlichem Lehrer.
Nachruf Arch. Roland Winkler:
GISELBERT HOKE - EIN DANK!
Dieser Dank ist der eines Schülers an seinen Lehrer, stellvertretend für alle, die dieses Privileg teilen durften.
Was verlieren wir?
Ein Schüler braucht kein Wissen. Er braucht den Wunsch nach Wissen.
Wenn ein Werkzeug dafür geeignet ist, angehende Architekten in künstlerischer Gestaltung zu unterrichten - so ist es kein Lehrbuch. Es ist auch kein Pinsel.
Das Werkzeug, das Architekten und Maler verbindet, ist der Massstab.
Massstab zu sein!
Massstab anzulegen - was schmerzt, weil Wahrheiten offenkundig werden, weil man gemessen wird; mal kleiner - mal größer. Ein Werkzeug, das verschwindet, weil es als Lehrmittel untauglich wird in einer Zeit des politisch Korrekten: Zu hart, zu ungerecht, zu persönlich. Ein Werkzeug, das verschwindet, weil ein Massstab für andere nur sein kann, wer sich zu sich selbst bekennt, wer sagt und zeigt, was er tut, was er kann, was er will und was nicht. Wer sein innerstes Kämpfen in Form seines Werkes der Öffentlichkeit zur Kritik offenbart. Wer authentisch ist - und wer das auch anderen zumutet: Einer, der den Massstab anlegt. Weil er es darf und weil er es kann.
Die Wahrheit ist den Menschen zumutbar, hat eine andere große Kärntner Persönlichkeit gesagt. Giselbert Hoke hat sie uns zugemutet.
Wir verlieren einen Menschen, an dem wir uns messen konnten, weil er Haltung hatte. Ob man an dieser Haltung zerbricht, oder sich daran aufrichtet, das bestimmt der eigene Charakter, die eigene Stärke; und schwächer - will ich meinen - ist schlussendlich niemand aus dieser Messung hervorgegangen. Vielmehr gestärkt durch eine gereinigte Sicht seiner selbst.
Was haben wir bekommen?
Ich erinnere mich: Stift Rhein. Freitag Morgen. Ein Turm, ein großes Atelier. Eine Schar unausgeschlafener Studenten. In Ihrer Mitte der Professor. Auf einer Kiste sitzend, in sich versunken. Ein leiser Monolog von symbolträchtiger Gewalt, einfach gesprochen und doch kaum erfassbar in seiner Bedeutung. Ein einfacher Auftrag für den Tag: ein Spiegelei auf einem Tisch so zu malen, dass man es gerne essen möchte.
Am Ende des Tages hängen die Werke derer im Turm, die begriffen haben, worum es geht. Die anderen nicht - Massstab.
Es ging nicht ums Ei. Es ging um die Farbe, dieses mit Wasser vermischte Pulver, um das Papier, das reißt, wenn man übertreibt, um die Hand, die beides zusammenbringt und ob sie das will - die Hand, oder nur einen Auftrag befolgt. Es ging um die Liebe zur Arbeit und die Wertschätzung der Dinge, mit denen man arbeitet. Wenn das stimmte, stimmte auch das Bild vom Ei - ganz von selbst. Und die Arbeit hing im Turm.
Das ist, was wir bekommen haben: Den Begriff für das Eigentliche, jenseits der Idee, jenseits des Profits, jenseits des Gefallens und jenseits der Spekulation. Das, was in jedem von uns schlummert, begraben unter dem Müll des Sein-Wollens und Haben-Wollens. Diesen Massstab hat uns Giselbert Hoke angelegt:
Wie groß sind wir, wenn wir nur ICH sind. Darauf kann ein Schüler aufbauen.
Danke, Giselbert
Nachruf Arch. Todorka Iliova:
Einen Nachruf auf den Maler und Universitätsprofessor Giselbert Hoke als ehemalige Architekturstudentin zu verfassen, ist ähnlich der Stunden des Schaffens in den Räumlichkeiten des ehemaligen Klosters in Rein. Emotional tiefgreifend steigen Erinnerungen hoch, Fragen und Sehnsüchte, Freude und Angst – Gegensätze - dicht, dunkel und licht zugleich.
Rückblickend auf den Unterricht der Künstlerischen Gestaltung an der TU Graz, über die Distanz der vergangenen Zeit, über die eigene Erfahrung als Architektin, erkenne ich wie strak die Prägung, wie weitgreifend die Nachwirkung ist, die ihren Ursprung in der Abgeschiedenheit des Stifts fand. In der Stille und Kontemplation des Ortes, getragen von der karge, spirituelle Ausstrahlung des Raumes, lehrte uns Professor Hoke in spartanischer Einfachheit zu arbeiten, über die Genügsamkeit der gesprochenen Worte und durch die Reduziertheit der Materialien in die Vielfältigkeit zu gelangen.
Den gezeichneten Strich, als Beginn des Entwurfs- und Schöpfungsprozesses, so wie er entsteht, anzunehmen und ihm zu folgen, da er unser eigener ist, kam als entscheidende Botschaft. Aus diesem entfaltete sich die Fläche, während der Blick auf das Wesentliche fokussiert blieb. Die Fläche bekam Tiefe, getragen von der ernsthaften Auseinandersetzung mit dem vorgegebenen Thema. Die Inhalte, die uns beschäftigten, setzten einen fast neuralgisch schmerzlichen Entstehungsprozess in Gang. Schicht für Schicht näherten wir uns dem Ganzen, das dem Anspruch, welchen Professor Hoke stellte, gerecht werden wollte. Dieser war authentisch, getragen durch seine eigene poetische, ehrliche, suchende Herangehensweise, die kompromisslos nach einem Sinn verlangte.
In tiefer Dankbarkeit, nehmen wir im Stillen Abschied von einer starken Persönlichkeit und einem außergewöhnlichen Lehrer, im Bewusstsein dass er uns über die Kraft der künstlerischen Gestaltung zu unserem Ich führte und Prozesse auslöste, welche die Grundlage für unsere eigene Haltung und den Anspruch für den gesamten beruflichen Werdegang schufen.