The Red Bulletin: "Günther Domenig, der Architekt des Red Bull Ring, baute nicht einfach Häuser"
Hier schreibt: Michael Köhlmeier
Günther Domenig, der Architekt des Red Bull Ring, baute nicht einfach Häuser. Sondern begehbare Gedichte. Eine Hommage zum 10.Todestag
Artikel von Michael Köhlmeier
Wenn in Hollywoodfilmen zu Beginn ein Flugzeug startet, dann muss es von links unten nach rechts oben sein. Die Menschen sollen sich freuen, sie sollen Hoffnung haben. Freude und Hoffnung aber deuten auf die Zukunft, und die Zukunft beginnt links unten und weist nach rechts oben, im Uhrzeigersinn.
Günther Domenig hat in mehreren Gesprächen eine Beziehung zwischen der Literatur und der Architektur hergestellt. Er hat seine Bauten mit einem Roman verglichen. Umgekehrt hat Marcel Proust sein 3000 Seiten umfassendes Jahrhundertwerk „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ eine Kathedrale genannt. Wenn Domenig das Erzählerische in der Literatur interessierte und er diesen Aspekt in die Architektur einbringen wollte, dann lässt sich umgekehrt bestätigen, dass sowohl im alten Epos wie im modernen Roman, aber auch im alltäglichen mündlichen Erzählen immer die Dramaturgie darüber entscheidet, ob eine Geschichte Interesse zu erwecken vermag oder schlicht langweilig ist. Dramaturgie aber meint nichts anderes als Architektur. Heute gilt „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ als eines der bedeutendsten Werke des 20. Jahrhunderts – und die Bauten von Günther Domenig stehen unter Denkmalschutz. Zehn Jahre nach seinem Tod wird der Architekt als ein Klassiker der Moderne gefeiert, sein Name in gleicher Tonart ausgesprochen wie die Namen Antoni Gaudí, Oscar Niemeyer, Ludwig Mies van der Rohe und Le Corbusier.
Ich dachte immer, das Erhabene in der Kunst sei, dass eine Kunstrichtung alle anderen in sich trägt – die Musik vereint sich mit der Malerei, die Malerei mit der Literatur, alle zusammen treffen sich in der Architektur. Sie schließt alle anderen Künste in sich ein, sichtbar, hörbar, greifbar, sie ist das Gesamtkunstwerk.
Das Vorurteil sagt, dass Schönheit und Funktion einander oft ausschließen und dass die Funktion Vorrang haben muss. Das ist trauriger Unsinn und führt dazu, dass Menschen in trauriger Umgebung leben müssen. Die Poesie verwöhnt den Menschen, sie macht, dass es ihm leichter fällt zu lieben.
Günther Domenig hat sich sein Leben lang gegen die Entpoetisierung von Architektur gewandt – nein, das ist ein zu schwaches Wort: dagegen gekämpft hat er. Es war ein einsamer Kampf. „Was ich baue“, sagte er, „ist meine Sprache.“ Alle seine Gebäude, sagte er, „entsprechen meinem Wesen“. Günther Domenig ist der Gesamtkunstwerker. Die Kunst dieses Mannes ist aus Zuversicht und enthusiastischem Optimismus gemacht, sein Blick geht von links unten nach rechts oben. Boxengasse und Tribüne des Red Bull Ring sind inspiriert vom Heckflügel eines Rennwagens. Gegen alle politische und ökologische Prinzipienreiterei berührt uns die reine, kindliche Begeisterung für die Geschwindigkeit, die ja eine der allegorischen Geburtshelferinnen der Moderne ist: Wir kommen voran! Hinter uns mag es dunkel sein, vor uns ist es hell! Übrigens: Auf dem Red Bull Ring wird selbstverständlich im Uhrzeigersinn gefahren.