Wir müssen mal über den Leerstand reden
ein Artikel von Wojciech Czaja zur diesjährigen Leerstandskonferenz zum Thema "Architekturen des Scheiterns"
Die Art und Weise, wie man hierzulande mit Schrumpfung und Leerstand umgeht, lässt zu wünschen übrig. Die positiven Beispiele für Nachnutzung und Vakuumvermeidung sind rar.
Immobilienleerstand ist ein tabuisiertes Thema. Das merkt man allein schon daran, wie österreichische Marktplayer unentwegt versuchen, den prozentuellen Büroleerstand in den Großstädten zu beschönigen oder über Definitionsumwege nach unten zu korrigieren. Zur Architektur-Biennale 2010 in Venedig stellte sich Ole Bouman, Kurator des niederländischen Pavillons, genau diesem Tabu: Niederlandeweit recherchierte er historisch bedeutende oder sich unter Denkmalschutz befindliche Bauwerke, die seit längerer Zeit leerstanden, und stellte das gefundene Konvolut – 4326 Häuser waren es insgesamt – als kleine Modelle aus. Das Publikum war entsetzt.
Doch man muss weder in die Niederlande noch in die Lagunenstadt reisen, um sich von der Schattenseite der Immobilienglitzerwelt ein Bild zu machen. Auch hierzulande grassiert das Thema – seien es nun leerstehende Flächen in der Wiener Innenstadt (laut Wirtschaftskammer Wien gibt es derzeit knapp 500 leerstehende Straßenlokale), in Bad Gastein oder in von Schrumpfung betroffenen Regionen im nördlichen Niederösterreich, in Teilen der Steiermark, im Südburgenland oder in Kärnten. Genau hier, in Fresach im Drautal, fand letzte Woche die dritte Österreichische Leerstandskonferenz statt.
"Überregionale Schrumpfung"
"Kärnten ist das einzige Bundesland in Österreich, das seit 2001 kontinuierlich schrumpft", sagt Roland Gruber, Architekt im Wiener und Kärntner Büro Nonconform und Veranstalter der Konferenz. "Aus diesem Grund haben wir beschlossen, die diesjährige Leerstandskonferenz hier abzuhalten. Denn wenn wir von überregionaler Schrumpfung sprechen, dann heißt das auch, dass die klassischen Wertkriterien der Immobilienwirtschaft, nämlich Wachstum und Expansion, nicht mehr marktfähig sind, dann heißt das, dass man sich nach neuen Mitteln und Werkzeugen umschauen muss."
Oder, wie Landeshauptmann-Stellvertreterin Gabriele Schaunig (SP) in ihrer Eröffnungsrede meinte: "Auch wenn uns vor allem die jungen Leute abhandenkommen, so ist dieser Zustand keineswegs Grund zur kollektiven Depression, sondern ein Impuls zum Umdenken." Nicht zufällig fand die Konferenz im Evangelischen Diözesanmuseum statt. Das von Marte.Marte Architekten geplante Gebäude wurde für die Landesausstellung 2011 errichtet und wird seitdem als Hülle für Wechselausstellungen genutzt. Und für Konferenzen.
"Nachnutzung" nennt sich das im Event-Jargon. Doch in den meisten Gemeinden sieht die Realität anders aus. Beispiele für fehlende oder gescheiterte Nachnutzungskonzepte gibt es viele. Dazu zählen ein überdimensioniertes Wörthersee-Stadion, das trotz entsprechender Planung und Rückbauoption niemals von 32.000 auf 12.000 Sitzplätze verkleinert wurde, das bis auf zwei Geschäfte leerstehende EKZ Uno Shopping in Pasching bei Linz, die Therme Bad Bleiberg, die aufgrund finanzieller Schwierigkeiten kürzlich geschlossen wurde, die bis heute nur teilweise genutzte Tabakfabrik in Linz sowie diverse ehemalige Landesausstellungsareale und insolvente Erlebniswelten.
Gestern Ski-WM, und nun?
Eines der aktuellsten Beispiele in puncto gescheiterter Nachnutzung ist Schladming, das für die Alpine Ski-WM 2013 ordentlich aufgepäppelt wurde und nun mit einigen halbverwaisten Immobilien zu kämpfen hat. Bürgermeister Jürgen Winter (VP) träumte vor einem halben Jahr noch davon, seine Stadt zur Kongressmetropole auszubauen. "Neben Salzburg, Innsbruck und Wien ist Schladming eine ernstzunehmende Alternative für Kongresse", sagte er damals zum STANDARD.
Wie sieht die Situation heute aus? Im Kongresszentrum, das während der WM-Tage als Medienzentrum und VIP-Lounge genutzt wurde, sind bis November 2014 gerade einmal 38 Kongresstage gebucht. Das ist eine Auslastung von nicht einmal zehn Prozent. Traurig, aber wahr: Zu den eingemieteten Events zählen neben diversen Firmenfachtagungen und einem Kongress der Österreichischen Apothekerkammer auch regionale Events wie Maturaball, Faschingsgilde und Schladminger Bergweihnacht. Nicht gerade das, was man sich unter einer Kongressstadt vorstellt.
Leerstandsarbeit vor Ort
"Die bisherigen Bilanzzahlen sind sehr gut, und auch die Buchungen für 2014 und 2015 geben Anlass, den Blick nach vorn zu richten", sagt Winter heute auf Anfrage des STANDARD. "Darüber hinaus irgendwelche Zahlen zu setzen und daraus Schlüsse zu ziehen wäre unseriös." Manche Investitionen wie etwa das Kongresshaus oder rund tausend neue Hotelbetten im Ort seien längst überfällig gewesen. Mit der Alpinen Ski-WM 2013 sei es gelungen, die Landflucht in dieser Region gering zu halten. Zur Info: Schladming hat heute 4400 Einwohner. Die Bevölkerungszahl ist seit 2001 rückläufig. Daran hat auch die WM nichts geändert.
"Es ist wichtig, Leerstand und Schrumpfung nicht schönzureden, sondern in die Planung und Entwicklung von Gemeinden als Faktor miteinzubeziehen", meint Architekt Roland Gruber. "Die meisten Architekturprojekte in unserem Büro setzen sich mit genau diesem Thema auseinander, und so ein komplexes und vielschichtiges Thema lässt sich nun einmal nicht am Bürozeichentisch oder in der Immobilienkanzlei lösen, sondern nur vor Ort."
Gemeinsam mit seinem Büro Nonconform veranstaltet er in Gemeinden, die von Leerstand und Schrumpfung betroffen sind, Workshops, sogenannte "Vor Ort Ideenwerkstätten", in denen für die jeweiligen Geisterhäuser und ungenutzten Areale maßgeschneiderte Nutzungskonzepte erarbeitet werden – und zwar partizipativ, also in Zusammenarbeit mit der Bevölkerung. Rund 30 solcher dreitägiger Round Tables wurden bisher durchgeführt.
Kein Shopping am Ortsrand
Eine der österreichweit wenigen Städte, die sich mit dem Tabuthema Leere und Bevölkerungsrückgang auf breiter Ebene auseinandersetzen, ist die Marktgemeinde Ottensheim bei Linz, die 2012 mit dem Landluft-Baukulturpreis ausgezeichnet wurde. So werden in Ottensheim beispielsweise keine neuen Siedlungsgebiete mehr gewidmet. Stattdessen werden Investoren eingeladen, bestehende Ressourcen zu nutzen oder zumindest entsprechende Konzepte vorzulegen. Erst kürzlich wurde einem Investor, der am Stadtrand ein Fachmarktzentrum errichten wollte, ohne dabei gewisse fürs Ortszentrum relevante Auflagen zu erfüllen, eine Abfuhr erteilt.
"In unserem Ortszentrum stehen derzeit rund 4000 Quadratmeter Geschäftsfläche leer", sagt Bürgermeisterin Ulrike Böker. "Und gleichzeitig ist die Nachfrage nach neuen Flächen sehr groß. Daher versuchen wir, anstatt Neuflächen zu errichten, mittels Anreizen, mittels Zwischennutzung und mittels Gesprächen mit den jeweiligen Grundstückseigentümern zunächst einmal den Bestand zu befüllen. Das hat absolute Priorität." Der sogenannte Donut-Effekt, also die Verwaisung des Stadtzentrums bei gleichzeitiger Zunahme des Speckgürtels, von der viele Gemeinden in Österreich betroffen sind, soll damit gestoppt werden.
Burbach als Vorbild
Das wohl radikalste Beispiel gegen Leerstand im Ortskern liefert die Gemeinde Burbach in Nordrhein-Westfalen: Trotz zunehmenden Drucks großer Einzelhandelsketten werden am Ortsrand keine Handelsflächen mehr bewilligt. Und zwar ausnahmslos. Wer in Burbach investieren will, der muss die Baulücken und brachliegenden Zentrumsflächen nutzen. Mit dem 2009 ins Leben gerufenen Programm "Bauen in den Ortskernen" entwickelte die Gemeinde sogar ein eigenes kommunales Förderprogramm. Es bietet finanzielle Anreize für bauliche Maßnahmen in bereits bebauten Gebieten.
Von solchen politischen Initiativen kann man in Österreich, das in gewissen Regionen zunehmend von Zersiedelung und Leerstand geprägt ist, nur träumen. Zum Beispiel in Form einer Konferenz. (Wojciech Czaja aus Fresach, DER STANDARD, 25.10.2013)
Weitere Informationen:
- Artikel von Wojciech Czaja: "Wir müssen mal über den Leerstand reden"
- http://www.leerstandskonferenz.at
- www.nonconform.at