www.redbull.com: "Der Gesamtkunstwerker Günther Domenig"
Dass es der Architekt Günther Domenig mit seinen Bauten irgendjemanden recht machen wollte, kann man nicht behaupten. Dafür waren die Werke des Erbauers des Red Bull Ring begehbare Gedichte.
Autor: Michael Köhlmeier
Als es 2002 bezogen wurde, war das T-Mobile-Gebäude im Stadtteil Sankt Marx im 3. Wiener Gemeindebezirk das größte private Bürogebäude Österreichs. Es ist 300 Meter lang, 50 Meter breit, an seiner höchsten Stelle 60 Meter hoch und bietet 71.000 Quadratmeter Nutzfläche für maximal 2500 Beschäftigte – eine kleine Stadt. Die Bauzeit betrug nur drei Jahre. Günther Domenig hat das Gebäude „eine Liegende“ genannt – ein Begriff, der nicht aus der Architektur, sondern aus der Bildhauerei stammt. Dies wurde – wieder einmal – als Provokation begriffen: Ich, der Architekt, mache Kunst!
Das T-Center sieht, von der einen Breitseite betrachtet, wie ein umgestürzter Wolkenkratzer aus – der Titan Atlas, der sich von nun an weigert, den Himmel zu tragen. Auf der anderen Seite erhebt sich der Bau in Richtung unserer Schreibschrift, von links nach rechts – das zeigt Dynamik, Geschwindigkeit, Zukunft, Zuversicht. Wenn in Hollywoodfilmen zu Beginn ein Flugzeug startet, dann muss es von links unten nach rechts oben sein. Die Menschen sollen sich freuen, sie sollen Hoffnung haben. Freude und Hoffnung aber deuten auf die Zukunft, und die Zukunft beginnt links unten und weist nach rechts oben, im Uhrzeigersinn.
"Gute Architektur ist Widerstand, gute Literatur ist Widerstand."
Michael Köhlmeier über die Gemeinsamkeiten zwischen Literatur und Domenigs Architektur
PROJEKT SPIELBERG
Zuversicht und Optimismus von links nach rechts im Uhrzeigersinn
Erhebt sich ein Bau von links nach rechts wie unsere Schreibschrift, dann zeigt das Dynamik, Geschwindigkeit Zukunft, Zuversicht. Wenn in einem Hollywoodfilm zu Beginn ein Flugzeug startet, dann muss es von links unten nach rechts oben sein. Die Menschen sollen sich freuen, sie sollen Hoffnung haben.
Die Zukunft beginnt links unten und weist nach rechts oben, im Uhrzeigersinn. Prinzipien, die sich auch am von Günther Domenig geplanten Red Bull Ring in Spielberg wiederfinden: reine, kindliche Begeisterung für Geschwindigkeit, eine vom Heckflügel eines Rennwagens inspirierte Boxengasse. Und selbstverständlich wird im Uhr- zeigersinn gefahren.
In mehreren Gesprächen hat Günther Domenig eine Beziehung zwischen der Literatur und der Architektur hergestellt. Er hat seine Bauten mit einem Roman verglichen. Umgekehrt hat Marcel Proust sein 3000 Seiten umfassendes Jahrhundertwerk „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ eine Kathedrale genannt.
Wenn Domenig das Erzählerische in der Literatur interessierte und diesen Aspekt in die Architektur einbringen wollte, dann lässt sich umgekehrt sagen, dass sowohl im alten Epos wie im modernen Roman, aber auch im alltäglichen mündlichen Erzählen immer die Dramaturgie darüber entscheidet, ob eine Geschichte Interesse zu erwecken vermag oder schlicht langweilig ist. Dramaturgie aber meint nichts anderes als Architektur.
Das Steinhaus in Steindorf in Kärnten war für Günther Domenig der Roman seines Lebens. Das Haus ist das architektonische Manifest eines Künstlers, mehr: ein Selbstporträt. Der Mann, der es erschaffen hat, war und ist ein Affront in den Augen nicht nur vieler seiner Kollegen. Denn wer so laut „ich“ sagt, will womöglich wehtun.
In einer Zeit, in der sich dieses Wörtchen in sein semantisches Gegenteil verkehrt, weil es mit Egoismus gleichgesetzt wird, wirkt die Selbstbehauptung eines Künstlers wie eine Herausforderung an alle, ob er das beabsichtigt hat oder nicht. Gute Architektur ist Widerstand, gute Literatur ist Widerstand – weil jede gute Kunst Widerstand ist. Günther Domenig ist nicht müde geworden, dies immer wieder zu betonen.
Bis heute wird das Haus in der Tourismusgemeinde am Ossiacher See als Skandal empfunden, als Peinlichkeit, von der man lieber ablenken möchte. In den Fremdenverkehrsbroschüren wird darüber geschwiegen, die Architekturenthusiasten aus aller Welt – Bewohner der „Domeniganischen Republik“ –, die nach Steindorf pilgern, werden miss trauisch beobachtet. Auch Prousts Roman wurde anfänglich als „inkommensurable Missgeburt“ bezeichnet.
Heute gilt „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ als eines der bedeutendsten Werke des 20. Jahrhunderts – und die Bauten von Günther Domenig stehen unter Denkmalschutz. Zehn Jahre nach seinem Tod wird der Architekt als ein Klassiker der Moderne gefeiert, sein Name in gleicher Tonart ausgesprochen wie die Namen Antoni Gaudí, Oscar Niemeyer, Ludwig Mies van der Rohe und Le Corbusier.
DOKUMENTATIONSZENTRUM REICHSPARTEITAGSGELÄNDE NÜRNBERG
Der härteste Schlag des Boxers
Wenn es stimmt, was Architekten-Kollege Wolf D. Prix von Coop Himmelb(l)au über Günther Domenig sagte, nämlich dass er baut, wie andere boxen, dann ist dieses Bauwerk der härteste Schlag von allen: Schließlich ging es darum, einen strengen Nazi-Bau mit einer architektonischen Fußnote zu versehen. Domenig löste die Aufgabe mit einem brutalen Schlag quer durch den Bau, einem Schmerzensschrei aus Beton, Glas und Stahl.
Das Steinhaus – Arbeitsraum, Begegnungsort und Wohnhaus – war als work in progress gedacht. Es werde fertig sein, wenn er tot ist, sagte sein Erschaffer. Marcel Proust schrieb an der Kathedrale seines Lebens, bis er nicht mehr schreiben konnte. Er starb vor hundert Jahren.
Günther Domenigs begehbarer, bewohnbarer, belebbarer Roman war fertig, als er vor zehn Jahren starb. Beide Kunstwerke konnten nicht beendet werden, vollendet sind sie. Der Tod macht fertig, er beendet, vollenden aber kann nur der Mensch. Die Kunst ist und war immer Empörung gegen den Tod. In seiner Kunst vollzieht der Künstler die Vollendung seiner von ihm selbst geschaffenen Persönlichkeit – über den Tod hinaus. Mitarbeiter formten den Namen des Baukünstlers um von Domenig auf Dämonig.
ZENTRALSPARKASSE WIEN-FAVORITEN
Da kommt endlich Leben in die Bank!
Günther Domenig sah das in den Siebzigern errichtete Gebäude aus Stahlbeton als „organhaften Körper mit Knochen, Sehnen, Häuten, Schuppen, Röhren und Adern“. Die Öffentlichkeit begriff den Bau als Zumutung, als Grenzüberschreitung eines egozentrischen Architekten, der die soziale Komponente missachtete: Das müssen schließlich Menschen benützen! Seit 2005 steht der Bau unter Denkmalschutz.
Ich dachte immer, das Erhabene in der Kunst sei, dass eine Kunstrichtung alle anderen in sich trägt – die Musik vereint sich mit der Malerei, die Malerei mit der Literatur, alle zusammen treffen sich in der Architektur. Sie schließt alle anderen Künste in sich ein, sichtbar, hörbar, greifbar, sie ist das Gesamtkunst werk. Das Gesamtkunstwerk, schreibt der deutsche Philosoph Odo Marquard, tilgt die Grenze zwischen ästhetischem Gebilde und Realität.
Man könnte umgekehrt sagen, die Architektur – die gute Architektur – macht die Realität schön. Die Pythagoreer empfahlen, die Proportionen eines Gebäudes auf die Saiten einer Kithara zu übertragen; wenn der Akkord schön klang, dann würde auch das Gebäude schön sein.
Das Vorurteil sagt, dass Schönheit und Funktion einander oft ausschließen und dass die Funktion Vorrang haben muss. Das ist trauriger Unsinn und führt dazu, dass Menschen in trauriger Umgebung leben müssen. Die Poesie verwöhnt den Menschen, sie macht, dass es ihm leichter fällt zu lieben. Ein Beweis dafür ist das Gewölbe der Mensa im Hof der Residenz der Schulschwestern in Graz-Eggenberg. Es ist wie Panzer und Bauch eines sanften Urtiers, dessen Schweigen uns die Geschichte der Welt erzählt.
STEINHAUS
Ein Haus wie ein Selbstporträt
Das Steinhaus, gelegen in der Kärntner Tourismusgemeinde Steindorf am Ossiacher See, ist so etwas wie das architektonische Manifest Günther Domenigs, eine Art begehbarer Roman: Arbeitsraum, Begegnungsort, Wohnhaus. Fans aus aller Welt reisen an, um es zu bewundern. In der Gemeinde selbst gilt das fantasievolle Haus bis heute als Skandal, als Peinlichkeit, von der man lieber ablenken möchte.
Günther Domenig hat sich sein Leben lang gegen die Entpoetisierung von Architektur gewandt – nein, das ist ein zu schwaches Wort: dagegen gekämpft hat er. Es war ein einsamer Kampf. „Was ich baue“, sagte er, „ist meine Sprache.“ Alle seine Gebäude, sagte er, „entsprechen meinem Wesen“. Günther Domenig ist der Gesamtkunstwerker.
Schönheit unterliegt keinen demokratischen Anforderungen. Wer das verlangt, will etwas anderes, aber nicht Schönheit. – Leicht gesagt! So darf vielleicht der Dichter denken, so dürfen Maler denken, der Theatermann und die Komponistin. Aber der Architekt? Sein Haus hört ja nicht auf wie das Buch, wenn man es zuklappt, oder wie das Musikstück, wenn man den Stecker aus dem CD-Player zieht. Sein Haus wird bewohnt, meistens von Menschen, die sich nicht für die Träume des Architekten interessieren, die einen anderen Geschmack haben dürfen oder gar keinen. Solche Argumente musste sich Günther Domenig oft anhören.
Das Gebäude der Zentralsparkasse in Wien-Favoriten wurde eine Zumutung genannt, eine Schande, Domenig wieder einmal als egomanischer Exzentriker beschimpft, der in seiner Kunst die soziale Aufgabe des Architekten ignoriert. Wolf D. Prix von der Architektenkooperative Coop Himmelb(l)au sagt über seinen Kollegen: „Er baute, wie andere boxen.“ Wenn es von einem Boxer heißt, „Er hat Herz“, dann meint das, er kann einstecken. Günther Domenig konnte einstecken. Und austeilen konnte er auch. Sein Schläge waren seine Bauwerke.
SCHWESTERNWOHNHEIM
Panzer und Bauch eines sanften Urtiers
Das Gewölbe der Mensa im Hof der Residenz der Schulschwestern in Graz-Eggenberg (o.) sieht aus wie „Panzer und Bauch eines sanften Urtiers, dessen Schweigen uns die Geschichte der Welt erzählt“. Es dürfte eine schwere bis unmögliche Übung sein, das Wesen dieses außergewöhnlichen Gebäudes poetischer zu beschreiben als mit den Worten von Schriftsteller Michael Köhlmeier.
Der härteste Schlag war das Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände der monumentalen Kongresshalle in Nürnberg. Es war auch ein Schlag gegen seine eigene Biografie. 1934 geboren, war Günther Domenig in einer stramm nationalsozialistischen Familie aufgewachsen. Sein Gebäude auf dem ehemaligen Aufmarschplatz – wieder eine Liegende! – ist wie der Schlag quer durch den Nazi-Bau, ein Schmerzensschrei aus Beton, Glas und Stahl.
Und dennoch: Die Kunst dieses Mannes ist aus Zuversicht und enthusiastischem Optimismus gemacht, sein Blick geht von links unten nach rechts oben. Die Boxengasse des Red Bull Ring in Spielberg – noch eine Liegende! – ist inspiriert vom Heckflügel eines Rennwagens. Gegen alle politische und ökologische Prinzipienreiterei berührt uns die reine, kindliche Begeisterung für die Geschwindigkeit, die ja eine der allegorischen Geburtshelferinnen der Moderne ist: Wir kommen voran!
Hinter uns mag es dunkel sein, vor uns ist es hell! Übrigens: Auf dem Red Bull Ring wird selbstverständlich im Uhrzeigersinn gefahren. Was Günther Domenig über sein Steinhaus sagte, gilt für alle seine Werke: „Im übertragenen Sinn ist das Haus zugleich mein Körper, mein Fühlen, mein Denken.“ Dies könnte eine Definition von Kunst sein.
Die Ausstellung „Günther Domenig: DIMENSIONAL“ findet bis 16. 10. an vier Orten in Kärnten statt.