Der Blick von außen
PublikationDer Katalog soll einladen, selbst durch die Stadt zu wandern und den eigenen Blick zu hinterfragen.
weiterlesen …Sie haben auf 131 Seiten einen „Blick von außen“ auf Klagenfurt verfasst. Wenn man sich die Mischung aus Architektur- und Stadtplanungskritik durchsieht, hat man den Eindruck, Klagenfurt muss ein furchtbarer Ort zum Leben sein. Vom Lendkanal, der Ihnen offenbar gefällt, abgesehen.
REINHARD SEISS: Klagenfurt hat, wie die meisten österreichischen Städte, eine Vielzahl an schönen, wertvollen Bauten. Das reicht von Ensembles aus dem 19. Jahrhundert bis hin zu tollen Bauten aus der Nachkriegszeit. Aber man geht nicht immer entsprechend damit um. Nehmen Sie das ehemalige Haferdepot hinter dem Bezirksgericht her. Das verfällt einfach, obwohl es großes Potenzial für viele Nutzungen hätte. Aber es gibt auch erfreuliche Beispiele, wie die alte Postgarage beim Hallenbad, wo die Wirtschaftskammer den Makerspace errichtet hat. Bei Umbau und Sanierung vieler anderen historischen Bauten hingegen fehlt es den Bauherren und ihren Architekten dagegen merklich am nötigen Gespür. Ich nenne da nur manche Dachausbauten.
In Ihrem Buch kritisieren Sie auch die Baubehörde scharf.
Jein. Die Frage ist, was darf die Behörde dem Willen der Politik nach und was kann die Behörde mit ihrer knappen personellen Ausstattung, für die ebenfalls die Politik verantwortlich ist. Unsere Politiker aber auch viele Bürger haben hinsichtlich Stadtentwicklung eine hohe Toleranzgrenze und übersehen oder ignorieren, was schlechte Architektur, Renditedenken und Spekulation, überzogener Bodenverbrauch und zu viel Autoverkehr irreversibel anrichten.
2007 haben Sie ein Buch verfasst, dass die Verflechtungen zwischen Politik, Verwaltung und Bauwirtschaft am Beispiel Wiens darstellte. Lässt sich dieser Befund auch auf Klagenfurt übertragen?
Im Prinzip ja, und auch auf andere österreichische Städte. Die handelnden Personen haben zwar andere Namen. Aber es ist immer dergleiche Typ Mensch, der als Investor, Beamter oder Politiker auftritt, und es sind immer die gleichen Mechanismen. Und auch wenn wie in Wien einmal andere Parteien zum Zug kommen, wiederholen sie die Grauslichkeiten, die sie zuvor in der Opposition kritisiert haben. So wie die ideologischen Unterschiede zwischen den Parteien immer mehr verschwimmen, unterscheiden sich auch die moralischen Prinzipien immer weniger. Stadtplanung ist für die Politik halt immer noch die einfachste Methode, immense Werte zu schaffen und zuzuschanzen, ohne dass es sie etwas kostet. Sie sorgt durch Grundstücksumwidmungen und -erschließungen oder auch durch günstige Immobilienverkäufe für Millionengewinne bei einzelnen Privaten und verkauft dies als Stadtentwicklung, Ankurbelung der Wirtschaft oder Arbeitsplatzschaffung. Am Ende bezahlt freilich die Allgemeinheit dafür, etwa, wenn Steuergelder in die Wiederbelebung der Innenstadt gepumpt werden, nachdem sie durch heillos überzogene Handelsansiedlungen am Stadtrand ruiniert wurde. Was die Politiker davon haben, wissen wir oft nicht. Manchmal bekommen wir im Zuge von Parteispendenaffären eine Ahnung davon. Wäre es nicht eine Beleidigung für den Balkan, müsste man sagen: Hier herrschen balkanische Zustände.
Der Handel ist in ihrer Bestandsaufnahme ein grober Kritikpunkt.
Wir haben in Österreich 1,9 Quadratmeter Handelsfläche pro Person und liegen damit EU-weit auf Platz 1, vor Deutschland, wo man mit 1,4 Quadratmetern auskommt. Und die auch nicht konsumfeindlichen Briten begnügen sich gar mit 0,7 Quadratmetern. Das heißt, wir haben eine absolute Überversorgung. Noch dazu: Wo entstehen die Einkaufszentren und Fachmärkte mit ihrer scheußlichen Wegwerfarchitektur? Meist dort, wo der Platz eigentlich für Industrie und Gewerbe reserviert ist, also weit weg von den Wohngebieten und ihren Kunden. Die Völkermarkter Straße ist so eine Gegend, in der wertvoller Boden sinnlos verbaut wurde. Man erzieht die Menschen zum Autofahren, weil solche Gegenden fußläufig gar nicht erreichbar sind – oder auch, weil dort der Parkplatz im Gegensatz zur Innenstadt gratis ist. Damit wären wir bei der Chancenungleichheit, die ebenfalls von der Politik gefördert wird.
Gibt es denn irgendein Gebäude in Klagenfurt, das gelungen ist?
Von den neueren? Einige schon. Etwa das „Urbaneum“ an der Waidmannsdorfer Straße: Da gibt es einen Mix aus Wohnungen, Büros und Geschäften, einen halbwegs anständigen Grünraum und einen selten gewordenen städtebaulichen Anspruch. Überzeugender sind historische Beispiele, wie die Kanaltalersiedlung. Ungeachtet der geschichtlichen Belastetheit ist hier ein vollwertiger Stadtteil entstanden – und nicht eine Aneinanderreihung einzelner Bauten. Umso beschämender sind die jüngsten Nachverdichtungen dort. Das größte Problem bei neuen Siedlungen sind nicht einzelne Objekte, sondern dass es kein Gesamtkonzept, keinen Zusammenhang zwischen Bauteil A, B und C gibt.
Das Messe-Gelände ist in den letzten zwei Jahren als Ort einer möglichen Stadtentwicklung genannt worden. Wie müsste man aus Ihrer Sicht da vorgehen?
Da wird in Österreich oft zu schnell geschossen. Zuerst tut man jahrelang nichts und dann muss es plötzlich ganz flott gehen. Planung heißt aber, vorauszuschauen, nicht spontan zu reagieren. So siegt das Mittelmaß oft vor dem Optimum. Wenn etwa bei einem Architektur- oder Städtebauwettbewerb nix G’scheites rauskommt, hat niemand den Schneid zu sagen: „Uns überzeugt keines der Projekte, wir denken noch einmal nach.“
Beim Neubau des Hallenbades geht man mit der Zeitvorgabe hinein, bis 2024 fertig sein zu müssen.
Verheerend! Das sind Zwänge, die für ein gutes Ergebnis keinesfalls förderlich sind. „Zeit ist Geld“ kann die Maxime von Investoren sein, aber nicht die von Planung und Politik.
Wann wird eigentlich die Immobilien-Blase platzen, die Klagenfurt nun auch erfasst hat?
Seit der Finanzkrise 2008 setzen Pensionsfonds, Banken, Versicherungen und andere mit zu viel Geld vor allem auf „Betongold“ und spielen dabei im Grunde Monopoly. Die wenigsten sogenannten Immobilienentwickler wollen nachhaltig investieren und etwas langfristig Tragfähiges aus einem Objekt machen. Sie kaufen, planen oder sanieren vielleicht ein wenig und verkaufen bald wieder mit Gewinn, beispielsweise an Pensionsfonds. Und die haben dann schöne, jedoch oft nur fiktive Anlagewerte in ihren Büchern. Anders, aber ebenfalls spekulativ, verläuft das Geschäft mit den Vorsorgewohnungen, das nur am Rande etwas mit Wohnraumversorgung zu tun hat. Klagenfurt hat da in den letzten Jahren den Anschluss an internationale Finanzmarktpraktiken vollzogen, die ohne Unterstützung der Planungspolitik nicht funktionieren würden.
Sie beschäftigen sich in ihrer Betrachtung Klagenfurts auch intensiv mit dem Verkehr. Die größte verkehrspolitische Sünde?
Eine von vielen Sünden war die Einfamilienhaus-Widmung auf „Klagenfurts Sonnenterrasse“ in Emmersdorf, auf einem steilen Abhang neun Kilometer vom Zentrum. Niemand wird hier je mit dem Rad oder auch dem Bus seine Wege bestreiten. Das geht – politisch gesehen – nicht mehr als „gut gemeint“ durch, das war einfach eine riesige Dummheit, eigentlich ein Verbrechen. Seit 30 Jahren weiß man um die verkehrs- und klimapolitischen Folgen derartiger Widmungen, Klagenfurt aber befeuert mit solchen Entscheidungen die Katastrophe. (Artikel: Thomas Cik)
Reinhard Seiß (50), promovierte als Raumplaner an der TU Wien. Seither ist er als Stadtplaner, Filmemacher und Fachpublizist aktiv.
Die Publikation „Der Blick von außen“ gibt auch einen Teil der gleichnamigen Ausstellung wieder, die 2018 im Rahmen von „Klagenfurt 500“ zu sehen war. Sie ist zum Unkostenpreis von 8 Euro im Haus der Architektur erhältlich.
Der Katalog soll einladen, selbst durch die Stadt zu wandern und den eigenen Blick zu hinterfragen.
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