Wohnen, Nachbarschaft und öffentlicher Raum_Nachbericht
Fachleute der Baukultur trafen sich mit ExpertInnen für Integration am 12. Mai 2016 im Architektur Haus Kärnten. Rund 40 Teilnehmende diskutierten mit ihnen den moderierten Abend lang über gelungenes Wohnen, gute Nachbarschaft und Begegnung im öffentlichen Raum. Dabei wurden grundlegende Fragen erörtert, was Baukultur überhaupt imstande sein kann, für Integration und Inklusion zu leisten und wo sich Allianzen und Synergien abzeichnen. Denn Baukultur betrifft uns alle, weil es schlichtweg um die Frage geht, wie wir zusammen leben wollen und es räumlich gestalten.
Von Gordana Brandner-Gruber
Als Impuls für die anschließende Diskussion wurde der aktuelle Stand des Integrationsleitbildprozesses Kärnten unter dem Titel „Begegnungsraum“ präsentiert. Für ihn zeichnen zwei Fachfrauen verantwortlich, Nadine Ruthardt vom Referat für Flüchtlingswesen und Integration der Kärntner Landesregierung und als wissenschaftliche Begleiterin Marika Gruber vom Studienbereich Wirtschaft & Management der Fachhochschule Kärnten. Sie präsentierten den aktuellen Zwischenstand des zweijährigen Leitbildprozesses, der partizipativ, offen und breit angelegt ist und zum Jahresende seinen Abschluss inklusive Handlungsempfehlungen finden soll. In acht Arbeitskreisen und mehreren Regionalveranstaltungen konnten bereits Bedürfnisse, Ideen und Maßnahmen zur Integration gesammelt werden, unter anderem zu den räumlichen Themen Wohnen und Nachbarschaft sowie öffentlicher Raum. Umso spannender war es, das Feedback der geladenen Fachleute aus den Bereichen Raumordnung, Architektur, Ausbildung, Politik und Flüchtlingskoordination zu hören und sich mit dem interessierten Publikum auszutauschen.
Zuzug als Chance
Für Kärnten werden bis 2060 ein Bevölkerungsrückgang von sechs Prozent und eine älter werdende Gesellschaft prognostiziert. Bereits bis 2025 soll es einen Arbeitskräftemangel von rund 30.000 Erwerbspersonen geben, dem durch Zuwanderung entgegengewirkt werden könnte. Wie kann aus der Willkommensarchitektur eine Bleibekultur werden? Die Fachleute waren sich einig, dass die städtischen Gebiete weiterhin die bevorzugten Anlaufstellen von MigrantInnen sein werden, wo sie mehr Möglichkeiten für Bildung, Arbeit und Mobilität vorfinden. Die Urbanisierung schreitet voran und könnte eine Chance darstellen, endlich vermehrt eine bewohnerfreundliche Stadt mit barrierefreien fußläufigen Wegen umzusetzen. Werden AsylwerberInnen während ihres Asylverfahrens in ganz Österreich und in ländlichen Gemeinden in Kärnten meist in so genannten Flüchtlingspensionen oder älteren Häusern einquartiert, ziehen sie, sobald sie das Bleiberecht bekommen, in die größeren Städte. Dennoch könnte es für Gemeinden und Kleinstädte, die von Abwanderung betroffen sind, interessant sein, neue BewohnerInnen langfristig in Leerstand anzusiedeln und damit Schulstandorte und andere Infrastrukturen aufrechtzuerhalten. Hier sind soziale Initiativen, die in vielen Gemeinden bereits vorhanden sind, und neue Wohnrauminitiativen gerade im Ortszentrum gefragt. Voraussetzung ist insgesamt die Sensibilisierung der Gemeinden und ihre Bereitschaft, die MigrantInnen teilhaben zu lassen. Es könnte eine räumliche Gesamtstrategie mit einem Fördersystem für Leerstandsnutzung entwickelt werden.
Leistbarer und betreuter Wohnraum
Die Herausforderung für die stetig wachsenden größeren Städte zeigt sich darin, genügend leistbaren Wohnraum anbieten zu können. Nicht nur ZuwanderInnen, auch BinnenwanderInnen und hier vor allem junge Menschen ziehen in die Städte. Was sich schon seit einigen Jahren offenbart, leistbarer Wohnraum wurde zu wenig gebaut. Die Architekturschaffenden haben wiederholt darauf hingewiesen, dass das Bauen von gefördertem Wohnbau unter der aktuellen Normenflut auch nicht mehr kostengünstig stattfinden kann und verlangen ein vernünftiges Maß an Anforderungen und Vorschriften. Hier sollten rasch neue einfachere Lösungen gefunden werden, die jedoch langfristig gesehen die hohe Qualität gewährleisten. Es wurde das Manko angesprochen, dass Zugezogene ohne österreichische Staatsbürgerschaft erst nach fünf Jahren Daueraufenthalt den Anspruch auf eine geförderte Wohnung haben. Dadurch sind sie anfangs auf den privaten, engen Wohnungsmarkt angewiesen und zahlen oft überteuerte Mieten. Die Diakonie de La Tour reagierte mit der Vorgangsweise vorbildhaft, einzelne Wohnungen im geförderten Wohnbau für AsylwerberInnen anzumieten, die als so genannte Selbstversorgerquartiere genutzt werden. Dort werden sie von Anfang an betreut und leben dennoch ein hohes Maß selbständig. In eine andere Kultur einzutreten, sei nicht einfach, so die Erfahrungen, und bedarf mitunter einer langjährigen Begleitung. Der Gasthof Bärenwirt in Weitensfeld ist ein gelungenes Integrationsprojekt im ländlichen Raum. Das besondere an dem Vollversorgerquartier ist die Gaststube, die Einheimischen und Flüchtlinge zum persönlich Kennenlernen einlädt. Begegnung kann passieren oder auch nicht. Es ist ein Vorbild, wie altgediente Gasthäuser durch Engagement eine neue, integrative Aufgabe erfüllen können.
Gemeinschaftsräume und neue Wohnformen
Wie kann eine gute Durchmischung von alten und jungen, ansässigen und zugezogenen BewohnerInnen in städtischen Wohnqartieren stattfinden und zu einem lebendigen Stadtteil beitragen? Dazu sollten die Wohnbauträger einbezogen werden Vorschläge zu erarbeiten, war eine Forderung. Professionelle Quartiersbetreuung wie in größeren Städten einzusetzen wäre eine weitere Möglichkeit. Im Wohnbau mit entsprechender Dichte könnten auch Gemeinschaftsräume die Begegnung fördern, lautete ein nicht mehr junger Vorschlag der Architektenschaft, um den sozialen Wohnbau zu verbessern. Doch seine Finanzierung war bisher kaum machbar. Eine Realisierung hätte dann Chancen, wenn die Wohngebäude gelungen und eine echte Alternative zum Einfamilienhaus wären. Dann erst werden dafür Mittel bereitgestellt, so die Auflagen des Landes. Und es sollten ergänzend dazu auch die zur Wohnanlage gehörenden Freiräume aufgewertet werden, wie Fachleute schon lange plädieren und die in Zeiten von Renditedenken zu wenig umgesetzt wurden. Einig war man sich auch bei dem Wunsch, dass die verantwortlichen Personen der Wohnbauträger sozialer denken und kreativer handeln sollten. Andere Wohntypologien wie zum Beispiel Hofhäuser, die einen Hof als gemeinsamen Freiraum einschließen, könnten durch mutigere Entscheidungen errichtet werden. Außerdem wurde zur Diskussion gestellt – um das gute Wohnen für MigrantInnen zu ermöglichen, ob es durch leichte Adaptierungen zu interessanten neuen Wohnformen kommen könnte.
Begegnungen im öffentlichen Raum
Die Baukulturfachleute stellten allgemein viele Defizite im öffentlichen Raum fest. Während es für Gebäude zu viele Regeln gibt, findet der allgemeine öffentliche Freiraum zu wenig Beachtung, ist oft nur Verkehrs- oder Parkplatzfläche. Oder er dient dem Konsum, wo Sicherheitsaspekte oder Überwachung dominieren. Wie kann der öffentliche Raum wieder so gestaltet werden, dass Begegnung und Austausch in der Nachbarschaft möglich sind? Ihn überhaupt wieder in ansprechender Form zuzulassen, war eine Antwort darauf. Weil es schwer fällt allgemeine Aussagen zu treffen, sind realisierte Beispiele aus der Praxis hilfreich. Das Architektur Haus könnte Vorbildbeispiele zeigen. Für Klagenfurt wurden der Europapark und die 44 Spielplätze genannt. Der öffentliche Raum sollte jedenfalls spontane und geplante Begegnungen ermöglichen, die durch aufmerksame Gestaltung geschaffen werden können. Es kam der konkrete Vorschlag, einen Raum für Diskussion und Partizipation auf einem städtischen Platz einzurichten, eine Art Diskussionsforum oder Speaker`s Corner, wo Leute unter Begleitung reden können und Dialog möglich ist.
Es kamen noch weitere Vorschläge. Grundtenor der anregenden Diskussion war, dass Integration durch das aufeinander Zugehen und Kennenlernen funktionieren kann. Und dass die Zuwanderung gewisse Mankos wie die Wohnknappheit der Städte schneller offenbar werden lässt. Wie sich diese Situation möglichst positiv entwickeln kann, obliegt dem wegweisenden Engagement der Zivilgesellschaft und dem der vorhandenen Fachleute. Die anwesenden Baukulturschaffenden sind sich ihrer Verantwortung bewusst und setzen sich für sozial innovative und gut gestaltete bauliche Lösungen ein.
Fachleute:
Barbara Frediani-Gasser, Architektin, Kammer der ZiviltechnikerInnen für Steiermark und Kärnten
Egon Jusner, Rechtliche Raumordnung, Gemeinden und Raumordnung, Landesregierung Kärnten
Marcel Leuschner, Flüchtlingskoordinator Diakonie Kärnten, Psychologe
Elias Molitschnig, Architekturschaffender, Gemeinderat Klagenfurt (Die Grünen) & wiss. Mitarbeiter FH-Kärnten, Fachbereich Architektur
Peter Nigst, Architekt, Studiengangsleiter Fachhochschule Kärnten, Fachbereich Architektur
Hartwig Wetschko, Kommunales Bauen, Gemeinden und Raumordnung, Landesregierung Kärnten
Moderation:
Florian Kerschbaumer, Lektor Zentrum für Friedensforschung und Friedenspolitik, Alpen-Adria-Universität Klagenfurt
Gordana Brandner Gruber, Architektin & Baukulturvermittlerin starke Orte