Nachruf: Friedrich Kurrent 1931 - 2022
10.01.2022
weiterlesen …zum Tod von Architekt, Univ.Prof.em. Friedrich Kurrent
Er war noch bei der Feier seines 89. Geburstages absolut sicher, auch den 100er feiern zu können, und - auch den Bau seines Herzensprojektes der letzten Jahre, eine große neue Wiener Synagoge am Platz zwischen Parlament und Palais Epstein "an der Ringstraße" - als eine "Bringschuld der Stadt" im Hinblick auf ihre brutale NS-Ära - zu erleben.
Nun ist er am 10.01.2022 infolge eines Schlaganfalls, im Wiener AKH "im Schlaf" gestorben. - Es wurden also "nur" 90 einmalig intensive Jahre eines außergewöhnlichen Architektenlebens, das eben viel viel mehr im Blick hatte als den spektakulären Rekord an großartiger, gebauter Kubatur, und das kulturelle, soziale, künstlerische, ökologische und biographische Nährfelder für qualitätvolles Planen und Bauen und gutes LEBEN wie kaum ein anderer "mitnahm", extrem offen und empathisch einbeziehen wollte - und in einigen Fällen auch beispielhaft konnte.
Friedrich Kurrent war zeitlebens - und speziell in den letzten Jahrzehnten nach seiner Rückkehr nach Wien als emeritierer, charismatischer Architekturprofessor an der TU München - in der hiesigen Szene ein fast beängstigend verlässlicher, auch sich selbst bzw. mögliche eigene Interessen niemals schonender "Störer der Unordnung" - legendär seine unzähligen Auftritte und kritischen Wortmeldungen in Veranstaltungen und öffentlichen Foren, seine zahlreichen brieflichen und konzeptuellen Eingaben an verschiedenste, vor allem öffentliche EntscheidungsträgerInnen, Gremien, Interessenvertretungen - immer gegen den allzu faulen, pragmatischen Kompromiss, immer gegen die grassierende Gedankenlosigkeit, vordergründige Windschlüpfrigkeit der allermeisten baubürokratischen und bloß marktwirtschaftlich "optimierten" Planungsprozesse, Bauvorhaben, Personalentscheidungen, Verfahrenssteuerungen, Medienereignisse.
Er würde es gewiss nicht abweisen, im Gegenteil, wenn man ihn da in die große Tradition der Karl Kraus, der Adolf Loos oder des Erich Fried einreiht. Wir erinnern uns, dass solche Haltung, die groß- wie kleinmaßstäbliches Planen und Bauen primär als gesellschaftlich verantwortlichen Auftrag zur allgemeinen, langfristigen Lebensqualität sieht und betreibt, ihre Motivation, ihre Wurzeln hatte in der Phase einer damals greifbaren, extrem not-wendigen Neuorientierung aller Kultur in den Aufbruchsjahren einer imaginiert kosmopolitischen, humanistisch avancierten Wiener Szene nach 1945, - im Speziellen im Umfeld von Art Club, Wiener Gruppe, Lois Welzenbachers und Clemens Holzmeisters "Schulen" der Akademie am Schillerplatz usw. - und nochmals spezieller in der mit Johannes Spalt, Wilhelm Holzbauer und Otto Leitner damals formierten "Arbeitsgruppe 4".
Die Wege, pionierhaften Leistungen und auch Vergeblichkeiten dieses nach Leitners Ausscheiden "3/4tler" genannten Teams, wurden vor einigen Jahren in einer vorbildlichen, auch international vielbeachteten Ausstellung am Architekturzentrum umfassend nachgezeichnet, dokumentiert, gewürdigt - akut vergegenwärtigt. Es war dann aber Kurrent allein, der seit 2001 in vier inhaltsreichen- und schweren Buchbänden, herausgegeben von seiner "Leib-Verlegerin" Mona Müry Leitner, dieses ganze Panorama der Bau-, Kunst-, Literatur-, Musik-, Skulptur- und Gesellschaftsentwicklung seit 1945 anhand seiner eigenen und unzähliger engstens mit ihm verknüpfter freund-feindlicher Lebenslinien lebhaft und tiefenscharf, ausgebreitet hat - und duchaus kritisch-nachhaltig - und da und dort sogar etwas selbstironisch gewürzt für unsere Gegenwart und Zukunft vorgelegt, zugänglich gemacht hat. Allein diese vier Bände bieten ein großes, sinnstiftendes Vermächtnis des unentwegst bis zuletzt zeichnenden, schreibenden, konstruktiv agitierenden, universellen Zeitgenossen.
Kurrents geistige Spannweite war enorm, und sein Engagement kannte keine Scheidung in Groß- oder Kleinkünste, Alltägliches oder Exzeptionelles - es reichte von seinem wegweisenden Eintreten für die Rettung des schon dem Kahlschlag der "Assanierung" geweihten alten Wiener Spittelbergviertels am Beginn der 1970er Jahre, seinem Aktivismus zur Rettung des Wittgenstein-Hauses u.v.a.m. - bis hin zu einem genial-schockierenden Performance-Auftritt im AzW anlässlich der Debatte um die Hochhausprojekte von Wien Mitte... - bis hin zu der singulären Verwirklichung des Museums für seine große Lebensgefährtin, die Künstlerin Maria Biljan-Bilger, im Sommer ein am Leithagebirge - realisiert und belebt mit einer Gemeinschaft von gleichgesinnten ArchitektInnen, KünstlerInnen, Kulturinteressierten, ZeitgenossInnen aus mehreren Lebensaltern.
Diese Arbeit ist - für mich jedenfalls - das aktuellste und wegweisendste, überregional gültige Modell der geistigen Botschaft des Fritz Kurrent - im Umgang mit der Landschaft, mit den gegebenen Kontexten, ihren scheinbar unscheinbaren Fakten, mit einem Minimum an materiellem Aufwand - aus einem Optimum an konstruktiver, raumgebender Innovation und Gewitztheit, mit der Zentrierung aller "Arbeit" um eine primär geistig-seelisch-humane Anwesenheit und hellwach interdependete Reflexion unserer Spezies in Natur und Kosmos.
Es ist wahr, in den letzten Jahren erreichten Fritzens notorische Einwürfe und Zurechtrückungen in öffentlichen und internen Debatten mitunter eine tragische Dringlichkeit. - Die Gesellschaft insgesamt, aber auch die sogenannte Elite, gerade in Architektur und Städtebau, zeigte sich in einer zunehmend "alternativ-losen" Affirmation und nur mehr ökonomisch-materialistisch getriebenen Stromlinienförmigkeit - und das musste den exemplarisch Unangepassten, den geschichtlich hochgebildeten, hochsensiblen und unvergleichlich lebenserfahrenen Querkopf-Visionär, der Kurrent eben war, soweit reizen, dass manche seiner Volten sich dann auch gegen Marginalien und gegen die Runde seiner eigenen "Parteigänger" richtete, wenn nicht verirrte. Aber: wir waren falsch beraten, das als die Macken eines unverbesserlichen Alten und "Besserwissers" mehr und mehr leicht abzutun - und dahinter den immer dringlicheren Impetus zu übersehen, der unser aller mitlaufende Angepasstheit und Bequemlichkeit und Kurzsichtigkeit und Egozentrik erschüttern wollte, - musste!
Fritz Kurrent erhielt für sein Lebenswerk 2017 eine der höchsten Auszeichnungen hierzulande - das Grosse Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich. Die Laudatio hielt - auch das symptomatisch - kein Architekt, keine Architektin, keine Direktorin einer einschlägigen Institution - sondern ein wahrlich wortgewandeter kritischer Bruder im Geiste, ein Literaturwissenschaftler....
Es war eine grandiose Veranstaltung in einem angemessenen Ambiente - dem wegweisenden Kassensaal der alten Länderbank, - für die ExpertInnen Otto Wagners famoser Wendepunkt vom Ringstraßenbaumeister zum Pionier der Modernität.
Kurrent wird uns fehlen - je länger es weiter so hingeht, umso mehr, umso schmerzlicher werden wir das spüren.
Adieu ! (Text: Otto Kapfinger)