Bauen am Land: „Anonyme Bautradition, geteilte Form“
Bauen am Land: Teil 3
BAUKULTUR IM KÄRNTNER BAUER
Schwerpunkt im Rahmen vom Baukulturjahr 2021
von der FH Kärnten, dem Architektur Haus Kärnten und der Landwirtschaftskammer Kärnten
Beitrag von: DI Dr. Albert Kirchengast: Senior Researcher, Kunsthistorisches Institut in Florenz und Dozent an der FH Kärnten
Was ist das: „anonymes Bauen“? Zugegeben, der Begriff klingt sperrig. Dahinter steckt aber ganz einfach all das, was gebaut wird und wurde, ohne die Handschrift eines Architekten zu tragen. Also der Großteil des Gebauten. Denn obwohl Bauen heute behördlich streng reglementiert ist, spielen in Stadt und Land im seltensten Fall Häuser eine Rolle, die gestalterisch durchdacht sind. Aber das Thema ist damit noch nicht präzise getroffen, es geht bei der „anonymen Bautradition“ nämlich nicht um das alltägliche Baugeschehen, um Zersiedelung und „Häuser vom Baumarkt“, Bungalows mit Löwen aus Beton davor – es geht um jene historische Bautradition, die ganz gegenteilige, elementare Gebilde hervorgebracht hat. Den historischen Bauernhof zum Beispiel oder Bürgerhäuser, wie sie in Gmünd den Hauptplatz bilden. Sie stehen in Stadt und Land, sind heute nicht selten Denkmale, Kulturgüter, sind Zeugen einer anderen, verlorenen Kultur. Sie wurden gebaut von „Laien“ für Laien. Sie faszinieren uns, denn in ihnen ist eine Lebensweise zur Form geworden.
Nostalgie schwingt da keine mit, aber Wertschätzung: Das auf wenige Räume beschränkte bäuerliche Leben vormoderner Zeiten war hart; eine Lebensweise, die wir heute vielleicht als „analog“ bezeichnen können, auf den Ort bezogen, an dem man lebte (und starb). Der Hof – selbst ein kleines „Dorf“ –, das Dorf, Mensch, Tier und Ding bildeten die Einheit einer Kulturlandschaft, in und aus der gewirtschaftet wurde. Was man darin selbst geschaffen hat, konnte man „begreifen“. Abseits der „Hochkultur“ der Metropolen, abseits auch vom „Markt“, eine Kultur der persönlichen Weitergabe von Know-how auf allen Ebenen. Man half einander, das schaffte Gemeinschaft. Das erregte aber auch die Aufmerksamkeit der Architekten. Um 1900, mit Einbruch einer „modernen“ industrialisierten Lebensform, begann man sich für Alternativen zu interessieren. Das „einfache Bauen“ am Land galt als Gegenkultur. Der Österreicher Bernard Rudofsky, ein Weltenbummler und kluger Kopf, ließ sich davon inspirieren und prägte den Begriff „anonymes Bauen“. In einer einflussreichen Ausstellung in New York von 1964 versammelte er archaische Behausungen aus der ganzen Welt und forderte: „Eine neue Lebensweise tut not, keine neue Architektur“. Das ist aktueller denn je. Zu ihr gehören vielfach erprobte Haustypologien, resistent gegen alles Modische, „Höfe“, die immer aus elementaren Bedürfnissen ihre Form erhalten, die wie „gewachsen“ erscheinen und es sind. Mit ihnen die Gestalten von Harpfen, Stadl´n, Troadkästen und anderen Wirtschaftsgebäuden. Sie strukturierten den ländlichen Raum wie Kapellen, Wege und Felder. Alles gehört hier zusammen. Denn aus den Materialien der jeweiligen Gegend, aus Ziegel, Stein, Holz oder Lehm errichtet, eingedeckt ebenso stets mit dem Vorhandenen, ob Stein oder Stroh: dieses Bauen greift zurück auf die Natur, wird stets weitergebaut, gewartet und gepflegt. Heute erkennen wir: Aus Beschränkung ist Schönheit entstanden.
Die Industrialisierung hat eine ganz andersartige, technische Pragmatik am Bauernhof eingeführt. Gefragt ist gerade deshalb der Dialog zwischen Architekten und Bauern. Man könnte heute wieder an diese gewissermaßen geteilte „anonyme“ Tradition anknüpfen, aus der sich Motive für die Zukunft böten. So war gerade der Kärntner Architekt Roland Rainer Vertreter einer solch „regionalistischen Bauweise“. Er entwarf Häuser, die mit und nicht gegen die Topografie, mit Respekt für Handwerk und im Wissen um die Schönheit der alten Kulturlandschaft erdacht sind. Der architektonische Einfall zählt weniger als die alten Formen, die er sich anverwandelt. Sein Sommerhaus duckt sich mit langen, steinernen Trockenmauern in die ebenso steinerne Landschaft, schafft einfache, stille Höfe, die Schatten spenden aber auch Feigen wachsen lassen. Beschränkung lautete die Kernidee dieser Tradition, ein Schaffen aus der Notwendigkeit. Die Kargheit von Baugestalten, die Bildbände heute feiern und die unmittelbar zu uns sprechen: ob durch Ziegelgitter, die die Ernte belüften, pittoreske Dächer, die ihre Neigung dem Klima anpassen, Hölzer, die kein „Xyladecor“ benötigen, weil sie altern, weil mit ihnen richtig konstruiert wird. Gemeinsam alt werden, das schafft Identität.
Auch andere Kärntner Architekten entscheiden sich dafür, solche Prinzipien zu berücksichtigen und tun es damit den Bauern von damals gleich. Sie blicken in die Zukunft, sehen die „Dissonanz“ heutiger Lebensweisen und Landschaften. Aus der bäuerlichen Architektur wäre ein Schatz zu bergen für die Gegenwart. Das Haus Hofer-Moser in Millstatt ist so ein Fall. Es vereint eine Arztpraxis mit einem Wohnhaus in der Form eines so genannten „Pfeilerstadls“, einem wunderbaren „Mischbau“ der Sparsamkeit: gemauerte Wandpfeiler, ausgefacht mit günstigen und gegebenenfalls luftigen Fichtenholzbrettern. Innen können solche Bauten wie kleine Kathedralen wirken, betonten das Tragwerk durch offene, hallenartige Räume zum Lagern und Arbeiten. Eine ähnlich starke Form findet sich beim Haus Kolig am Ossiacher See – beinahe ein halbes Jahrhundert alt, wirkt es noch immer nicht altbacken, sogar frech. Es ist das Haus eines Künstlers, der nicht auffallen muss, sondern sich einfügt in die Farben und Formen der Landschaft.
Kein Teil eines „Hofs“ indes war je nur auf eine einzige Weise genutzt – eigentlich ist das sehr modern, spricht man doch heute so oft von „Flexibilität“. Dass bäuerliche, „multifunktionale“ Räume aber nicht technisch oder abstrakt wirken, ist entscheidend für ihre stimmige Anmutung. Häuser, die in Würde alt werden können, erzählen immer auch die Geschichte ihrer Bewohner, leben mit ihnen, ohne zu „altern“. Dass sie dies auf gute Weise tun, hat auch mit den lapidaren Formen zu tun, aus denen sie sich zusammensetzten. Ein Haus ist eine Plastik, das „schräge“ Dach, das so lange von Architekten geschmäht wurde, macht es leichter, diese gestalterisch zu bewältigen. Von einer „urbaneren“ Weise, mit guten Proportionen und elementaren Formen zu gestalten – schließlich kostet das ja nichts –, kann man sich beim Pfarrgebäude von Maria Feicht überzeugen. Es gliedert sich nicht nur in die Siedlungsstruktur ein, sondern vervollständigt diese. Vom gleichen Architekten stammt das so genannte Haus „SPQ“ in Bleiburg. Es ist auf andere Weise anonym, folgt einer Haltung, die nicht die große Geste sucht. Das Detail belebt dabei Alltag und Form: der im Streiflicht weich wirkende Putz des Hauses erinnert an Bauernhäuser, ans Kalken. Naturbaustoffe kamen ja aus dem eigenen Wald, manchmal sogar vom eigenen Steinbruch, man hatte eben eine Kalkgrube und das Kalken der Wände war Teil wiederkehrender Rituale: Mensch, Hand, Haus und religiös gestiftetes Brauchtum waren eng miteinander verknüpft. So entstand die berühmte „Einheit in der Vielheit“, die Europäische Kulturlandschaften auszeichnet – nach der wir uns sehnen.
Wo viele Hände tätig sind, wird nichts gleich und doch regiert nicht der Unterschied. Das gelingt nicht mehr von selbst. Dafür aber haben wir heute die Wahl, uns zu entscheiden. Wir könnten uns dafür entscheiden, unseren Sinnen, dem Sinnfälligen zu trauen. Wir müssen die Schönheit in unserem Alltag finden. Zu ihm gehört das gut Gefügte, Praktische und doch schöne Ding. So wie das gute Nahrungsmittel. Wie das gesunde Tier. Der Blick in die eigene Vergangenheit könnte dabei helfen, das einmal Erreichte zu beleben, denn eine Tradition zu haben, das heißt heute viel! Das Gute daran: Man darf auf das Dauerhafte setzen, auf die klügere Lösung. Denn die anonyme Baukultur ist pragmatisch – und noch vieles mehr.
Bauten:
Sommerhaus Rainer (Roland Rainer, St. Margarethen, 1957/58), Haus und Praxis Hofer-Moser (Rainer Kaschl, Heide Mühlfellner, Millstatt, 1996), Haus Kolig (Manfred Kovatsch, Ossiachberg, 1977), Pfarrgebäude Maria Feicht/Haus SPQ (Reinhold Wetschko, Maria Feicht/Bleiburg, 2016)
Buchtipps:
Roland Rainer: Anonymes Bauen Nordburgenland, Salzburg 1961.
Raimund Abraham: Elementare Architektur, Salzburg 1963.
Bernard Rudofsky: Architektur ohne Architekten, Salzburg 1993 (1964).
Kristian Sotriffer: Domus Alpina. Bauformen und Hauslandschaften im Alpenbereich, Wien 1982.
Franz Riepl: Über Architektur, herausgegeben von Albert Kirchengast und Hans Kolb, Salzburg-Wien 2015.
Albert Kirchengast, Hans Kolb (Hg.): Franz Riepl baut auf dem Land. Eine Ästhetik des Selbstverständlichen, Basel 2018.
Werner Bätzing: Das Landleben. Geschichte und Zukunft einer gefährdeten Lebensform, München 2020.