Bauen am Land: „Die Kunst des Weiterbauens“
Bauen am Land: Teil 4
BAUKULTUR IM KÄRNTNER BAUER
Schwerpunkt im Rahmen vom Baukulturjahr 2021
von der FH Kärnten, dem Architektur Haus Kärnten und der Landwirtschaftskammer Kärnten
Eingriffe in historische Bausubstanz können über Erhaltung und Restauration hinausgehen. Gelungene Realisierungen zeigen, wieviel Potenzial in alten Mauern steckt.
Die Kulturlandschaft und das baukulturelle Erbe im ländlichen Raum prägen das österreichische Selbstverständnis. Trotzdem sinkt die Anzahl der landwirtschaftlichen Betriebe. Bauernhöfe, die nicht mehr betrieben werden, stehen oft leer, verfallen oder werden gar abgerissen. In Zeiten starken Bevölkerungswachstums in den Städten einerseits und zunehmender Zersiedelung am Land andererseits stellt sich die Frage, warum und wie Bauernhöfe erhalten werden sollen.
Der ländliche Raum kämpft mit Abwanderung und Bevölkerungsrückgang. Junge Menschen ziehen vermehrt in Städte, um dort (vermeintlich) bessere Jobchancen, flächendeckende Betreuungseinrichtungen oder ein vielfältigeres kulturelles Angebot vorzufinden. Positive Aspekte, die mit der „Kargheit“ am Land verbunden werden, betreffen hauptsächlich die Möglichkeiten zur Entschleunigung und Erholung. Gerade in den aktuellen Zeiten der sozialen Distanzierung wird der ländliche Raum aber wieder vermehrt zum Sehnsuchtsort. Großteils intakte Natur und Rückzugsorte einerseits sowie das engere soziale Gefüge andererseits werden wieder Wert geschätzt. Neben allen Herausforderungen, die die Verlagerung vor allem der Berufswelt ins Digitale mit sich bringen, werden auch positive Aspekte der (Kommunikations-) Technologien zum Vorschein gebracht.
Bewahrung und Erneuerung
Man kennt die Situation: Auf vielen Bauernhöfen werden den ursprünglichen Gebäuden sogenannte „Auszughäuser“ beigestellt, die sich in Größe, Ausdruck und Komfort vom „normalen“ Einfamilienhaus kaum mehr unterscheiden. Der nebenan gebaute große Laufstall ergänzt die neuen Anforderungen an einen modernen Bauernhof. Die alte Bausubstanz steht oft leer, dient gelegentlich als Unterstand für die „neusten technischen Errungenschaften“, verkommt Zunehmens bis schlussendlich der Abbruch und somit der Verlust dieser regionstypischen Gebäude erfolgt.
Der Wunsch nach modernen Lebensstandards ist natürlich nachvollziehbar und völlig legitim! Trotz alle dem muss der Frage nach dem“Wieviel“ an Erneuerung und Veränderung mit Fingerspitzengefühl nachgegangen werden. Sie sollte weder aufgrund rein emotionaler noch rein wirtschaftlicher Gründe entschieden werden. Gelungene Realisierungen zeigen, welch großes Potential oft in alten Mauern steckt.
Anwendungsstudie
„BAND 4 der Architekturreihe der FH Kärnten fragt nach exemplarischen Nachnutzungen bäuerlicher Architektur. Gerade solche Ansätze für einen zeitgemäßen und zugleich flexiblen Umgang leerstehenden alter Bauernhäuser zu entwickeln, erscheint uns essentiell, um neue Formen von Urbanität zu erproben. Solche Inhalte werden daher im Rahmen von Projekten und Diplomarbeiten thematisiert. Potentiale, die in verschiedensten Nutzungsmöglichkeiten liegen, sollen dadurch erkannt und sichtbar gemacht werden. Die Adaptierung und Weiterentwicklung der alten Gehöfte ist eine sinnvolle baukulturelle Aufgabe. Dieses WEITERDENKEN soll dem Verlust bzw. Verfall dieser Bauten entgegenwirken und neuen Lebenszusammenhang schaffen.“ sagt Peter Nigst (ehem. Studiengangsleiter der FH Kärnten und Diplombetreuer von Hannes Sampl)
Anhand des Sorer-Gutes, eines regionaltypischen kleinen Einhofes (Vorderhaus und Hinterhaus bzw. Wirtschaftsteil unter einem Dach) in prominenter dorfräumlicher Lage im obersteirischen Katschtal werden modellhaft Nachnutzungsvarianten mit unterschiedlichen Intensitäten von baulichen Eingriffen untersucht.
Ziel aller Varianten ist es das Aufgreifen und Bewahren der vorgefundenen Qualitäten und sich innerhalb der vorhandenen Dimension des Gebäudes zu bewegen und damit die wichtige Stellung des Einzelvolumens in seinem regionaltypischen Ausmaß, seiner Proportion und Raumbildung zur umliegenden Landschaft erneut klar zu definieren.
Szenario Wohnen und Arbeiten
Aufgrund technologischer Entwicklungen wird es wieder vermehrt möglich sein, sich auch beruflich auf dem Land nieder zu lassen, ohne Einbußen hinsichtlich der beruflichen Integrität hinnehmen zu müssen. Das daraus folgende Zusammenspiel zwischen Arbeiten und Wohnen und in weiterer Folge die Verlagerung des Arbeitsplatzes von der Stadt aufs Land bringt unmittelbar eine Loslösung von der bis dato notwendigen Mobilität mit sich. Für viele Berufsgruppen eröffnen sich dadurch neue Perspektiven für eine Rückkehr aufs Land.
Das großzügige Flächenangebot des Hofes bietet die räumlichen Voraussetzungen für getrennt begehbare öffentliche Büronutzung im Erdgeschoss und privater Wohnnutzung im Obergeschoss - Wohnen und Arbeiten unter einem Dach.
Szenario Mehrfamilienhaus
Die bereits fortgeschrittene Zersiedelung kann nicht ungebremst weitergehen. Mögliche Neuansiedelungen müssen mit Plan und Weitsicht aller Beteiligten erfolgen. Dazu braucht es nachhaltige (Wohn-) Konzepte, die der Wunschvorstellung des Einfamilienhauses auf der grünen Wiese attraktive Alternativen gegenüberstellen. Der Gedanke an eigenen Grund und Boden sowie individuelle Gestaltungsmöglichkeiten scheint für Viele verlockend: Der Kauf eines Grundstücks am Land ist nach wie vor verhältnismäßig erschwinglich und das Einfamilienhaus verspricht Unabhängigkeit von zivilisatorischen Zwängen. Die Konsequenzen dieser „Idealvorstellung“ sind meist nicht bewusst oder werden in Kauf genommen: Die Zersiedelung schreitet stetig voran, die Wa(h)re Landschaft verschwindet. Das bedeutet einen enormen Flächenverbrauch sowie die rapide Veränderung des einzigartigen Landschaftsraumes. Die Aufschließung, Versorgung und Instandhaltung der Infrastruktur belastet die Gemeindekassen.
Die Umnutzung zu einem Mehrfamilienhaus des leerstehenden, zentral gelegenen Hofes inmitten bestehender Infrastruktur bietet eine flächen- und ressourcensparende alternative Wohnform am Land - individuelles Wohnen statt in Uniformen Siedlungsstrukturen an der Peripherie.
Bauten definieren Orte
In intakten Dörfern sind es meist historische Bauten an markanten Punkten, welche die Einzigartigkeit und den Reiz eines Ortes ausmachen. Im ländlichen Kontext sind vielerorts landwirtschaftliche Objekte in traditioneller Bauweise identitätsstiftend. Der Verlust und Verfall der alten Bauten betrifft in diesem Sinne nie nur das Einzelobjekt. Im größeren Maßstab betrachtet bedeutet das immer eine markante Veränderung der gesamten Ortschaft.
Potenziale nutzen
Weiterbauen ist sehr viel mehr als ein (denkmalgeschütztes) Erhalten. Ein Eingriff in die historische Bausubstanz kann über die reine Erhaltung und Restauration des Objekts hinausgehen und so bestehenden Gebäuden gutüberlegte, neue Nutzungen zuführen.
So werden die periphere Kulturlandschaft und ihre authentischen Bauten die Wahrnehmung und das Selbstverständnis Österreichs auch weiterhin im positiven Sinne prägen. (Arch. DI Hannes Sampl | Arch. DI Sonja Hohengasser)
BUCHTIPP
Weiterdenken über das Bauernhaus
Herausgeber: FH Kärnten, Studiengang Architektur
ISBN 978-3-94087464-1
24,90 € (inkl. MwSt.)
erhältlich in der FH Kärnten und der Landwirtschaftskammer Kärnten ab Mai 2021
www.fh-kaernten.at
www.lwk.at
Links und mehr Informationen:
www.baukulturleben.at Baukulturjahr 2021 in Kärnten
www.architektur-kaernten.at Architektur Haus Kärnten
www.fh-kaernten.at/studium/bauingenieurwesen-architektur Fachhochschule Kärnten, Studiengang Architektur
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