Das Kärntner Kulturgremium hat eine Resolution gegen den baulichen Wildwuchs verabschiedet. Wir sprachen mit Initiator Peter Nigst über die größten offenen Wunden und baukulturelle Gegenstrategien.
(Artikel von Erwin Hirtenfelder)
Das Kärntner Kulturgremium hat im Juni versucht, mit einer Resolution die Kärntner Politik auf die zum Teil planlose Verbauung der Kärntner Landschaft hinzuweisen. Welche Reaktionen gab es darauf?
PETER NIGST: Wir haben die Resolution dem Landtagspräsidenten überreicht und die Rückmeldung bekommen, dass die Bereitschaft aller Landtagsparteien besteht, sich damit auseinanderzusetzen. Es soll noch in dieser Legislaturperiode zu einem Beschluss kommen, der dann an die Landesregierung übermittelt wird.
Wenn Sie so um sich blicken: Welche baulichen Entwicklungen tun Ihnen hierzulande besonders weh?
Jene um die Seen herum und auf den Almen mit den vielen Zweitwohnsitzen. Alles wird hier kommerzialisiert. Am liebsten würde man überall, wo es schön ist, Eintritt verlangen und den öffentlichen Raum beschneiden. Dazu kommt die unsinnige Anhäufung von Einkaufszentren. Wenn ein Supermarkt gebaut wird, muss die Konkurrenz gleich nachziehen und baut auch außerhalb des Ortes noch etwas Eigenes hin.
Welche Ihrer Forderungen könnten relativ schnell erfüllt werden?
Die nach Fortbildung, damit die Verantwortlichen in den Gemeinden zu mehr Fachkenntnissen kommen. Solche Programme gibt es zwar bereits, aber sie gehören noch intensiviert. Auch die von uns geforderte „Agentur für Baukultur“ könnte relativ rasch geschaffen werden.
Was könnte eine solche Agentur leisten?
Man könnte damit ein umfangreiches Förderprogramm managen. Rund 80 Prozent der finanziellen Anreize könnten zum Beispiel in baukulturell vorbildliche Gemeindeprojekte fließen, der Rest in Schulungen, Bildung und so weiter.
Dafür müsste wohl sehr viel Geld in die Hand genommen werden ...
Für ganz Österreich müssten es ab 2024 circa 80 bis 100 Millionen Euro im Jahr sein, schließlich brennt es an vielen Ecken.
Wo orten Sie die gefährlichsten Brandherde? Wo ist das Löschen am einfachsten?
Bei den Widmungen. Das Land Kärnten müsste bei Widmungsentscheidungen viel entschlossener vorgehen. Die Frage ist: Welchen Interessen folgt man? Jenen der Wirtschaft oder jenen des Landschaftsschutzes? Diesen Konflikt gibt es bereits seit Jahrzehnten, und man bekommt ihn derzeit vor Augen geführt, durch eine Natur, die gegen die unvernünftigen Maßnahmen rebelliert, die wir in den letzten Jahrzehnten getroffen haben. Es wird noch immer wahnsinnig viel Boden versiegelt unter dem Aspekt der wirtschaftlichen Entwicklung. In den Flächenwidmungs- und Bebauungsplänen sind auch noch zu große Baulandreserven enthalten.
Wären Sie für unpopuläre Maßnahmen wie Rückwidmungen?
Ja, eindeutig! Allerdings müsste man eine Umlage erwirtschaften, wo die daraus resultierenden finanziellen Entschädigungsforderungen durch Widmungsgewinne abgedeckt sind. Uns schwebt da eine Art landesweiter Widmungsfonds vor, der aus den Wertsteigerungen durch unbedingt notwendige Umwidmungen von Grünland in Bauland und die dichtere Bebaubarkeit gespeist wird.
Ist Kärnten wirklich „Versiegelungsweltmeister“, wie Sie in Ihrer Resolution behaupten?
Ja.
Warum ist das anderswo besser?
Das liegt zum Teil an gesetzlichen Vorschriften und einem anderen Umgang mit baukulturellen Fragen. In Vorarlberg läuft sehr viel über Wettbewerbe und finanzielle Anreize für Gemeinden, die etwa auf Ortskernverdichtung mit Kosten-Nutzen-Rechnung und nicht auf Zersiedelung setzen.
Ortskernverdichtungen könnte man auch mit verstärkter Förderung von Altbausanierungen erreichen.
Es wird da sicher noch zu wenig getan, müsste aber begleitet sein von einem qualitativen Prozess. Es kann sich eine Sanierung nicht auf die Anbringung einer Wärmedämmung beschränken, was ja vielfach der Fall ist. Es geht darum, in die sich immer mehr entleerenden Ortskerne soziales Leben zurückzubringen und baukulturelle Qualitäten des Bestandes neu zu entdecken.
Wie steht das Kulturgremium zum landschaftsverändernden Ausbau von Windenergie und Photovoltaik?
Man wird in Kärnten nicht gänzlich darum herumkommen. Aber man sollte zuvor klarstellen, wo das gemacht werden kann und dass das vom Landschaftsbild her möglichst schonend passiert, denn es sind unkorrigierbare Eingriffe in Ökologie und Kulturraum.
Sie fordern auch Gestaltungsbeiräte für alle Gemeinden.
Das wäre ein wichtiger Schritt.
Sollen diese gesetzlich vorgeschrieben werden?
Ich glaube, dass das nicht funktioniert. Aber es sollte vonseiten des Landes Anreize geben. Das Zweite wäre, dass für kleinere Gemeinden eine fliegende Kommission geschaffen wird, die das Land finanziert.
Gibt es eine solche nicht ohnehin schon in Gestalt der Ortsbildpflegekommission?
Ja, aber das sollte bereits vorweg beratend als kostenlose Leistung ausgebaut werden.
Sie sind selber in diversen Gestaltungsbeiräten tätig. Was sind Ihre bisherigen Erfahrungen?
In Millstatt ist es durch den Druck der Immobilienentwickler mühsam, aber trotzdem sehr wichtig. Ich war auch im Planungsbeirat in Spittal mit zwei externen Kollegen. Wir waren dort sechs Jahre lang tätig und haben dann aus der Zeitung erfahren, dass wir vom Bürgermeister abserviert wurden.
Warum?
Weil sie es selber besser wissen und uns offenbar nicht brauchen.
Das sind ja „gute Vorzeichen“ für die Resolution des Kulturgremiums und deren Umsetzung ...
Ja, leider. Die verschiedenen Materien sind leider ziemlich komplex und die politischen Mühlen mahlen langsam. Aber es geht um die Zukunft unserer Kinder. Wir werden hartnäckig bleiben.
Zur Person Und Resolution
Peter Nigst, geb. 1946 in Wien, ist freischaffender Architekt ´und lehrte an der Wiener Kunstakademie und der FH Kärnten in Spittal/Drau. Er erhielt 2008 den Würdigungspreis für Baukultur des Landes Kärnten und ist seit 2018 Vorsitzender des Fachbeirats für Baukultur im Kärntner Kulturgremium. Die von ihm initiierte Resolution wurde am 27. ´Juni 2022 mit 23 Pro-Stimmen bei einer Stimmenthaltung beschlossen.
Die Forderungen im Detail: architektur-kaernten.at/news