Kleine Zeitung_2016.01.08_ Neuer Zufluchtsort für Schwerkranke
08.01.2016
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Einmal noch die Sonnenstrahlen auf der Haut spüren. Einmal noch die Regentropfen prasseln hören. Einmal noch den Schnee riechen. "So einfach kann ein letzter Wunsch sein", sagt Barbara Traar, Vorstand des Vereins Palliativ Kärnten. "Wir begleiten die Menschen auf ihrem letzten Lebensweg, in ihren letzten Wochen und Monaten, und bemühen uns, ihnen einen angenehmen, schmerzfreien Abschied zu ermöglichen. Im besten Fall bereiten wir die Patienten darauf vor, nach Hause zu gehen und im Kreise der Familie zu sterben."
Aber manchmal, da kommt der Tod auch früher. Und ja, er kommt ins Krankenhaus. Ins Klinikum Klagenfurt zum Beispiel. In den Siebzigerjahre-Bau in den dritten Stock, um genau zu sein, dort, wo sich die Palliativstation befindet, wo sich unheilbar kranke Menschen darauf einstellen, in Begleitung von Therapeuten und Psychologinnen aus dem Leben zu scheiden. Mit Neonlicht, abgehängter Decke und automatisierter Luftumwälzung. Es stinkt nach Desinfektionsmittel. Im neuen, kleinen Holzpavillon, ein paar Meter nur vom Nebeneingang der Palliativstation entfernt, kann man dem hospitalen Alltagsapparat für eine Weile entfliehen.
Anfang Dezember wurde der Pavillon fertiggestellt und in Betrieb genommen. Geplant und errichtet wurde der 65 Quadratmeter große Bau von Studentinnen und Studenten der Fachhochschule Kärnten in Spittal an der Drau. Zwölf Entwürfe wurden zu Beginn angefertigt. In einem zweistufigen Verfahren wurde das Spektrum erst auf vier, dann auf ein einziges Projekt reduziert. Der Entwurf von Daniela Panoska und Michael Palle schließlich wurde in die Tat umgesetzt – vom ersten Strich bis zur letzten festgezogenen Schraube. Zu verdanken ist dieser ungewöhnliche Planungsprozess der Initiative der Kärntner Landeskrankenanstalten-Betriebsgesellschaft KABEG sowie dem Verein Palliativ Kärnten. "Ich sage ganz ehrlich: Wir finanzieren uns über Spendengelder, und einen fertig ausgebildeten Architekten hätten wir uns einfach nicht leisten könnten", so Traar. "Das war zu Beginn der Hauptbeweggrund, mit unserem Wunsch an die FH heranzutreten. Heute kann ich sagen, dass das eine sehr gute Entscheidung war, denn die Studierenden waren engagiert, haben die Bauaufgabe sehr ernst genommen und waren in der Lage, sich in die Situation der Palliativpatienten hineinzuversetzen."
Vertikale Latten aus frisch geschnittener Lärche. Sägerau. So rau, dass man sich einen Schiefer einziehen kann, wenn man zu schnell über die Oberfläche streicht. Natur halt. Es riecht wie auf dem Holzplatz, besonders dieser winterlichen Tage, da die Luft feucht und nebelig ist und die Harze und ätherischen Öle leicht in die Nase aufsteigen. Es ist, nach all den Tagen hoch oben im dritten Stock, ein Rausch der Sinne.
Die schräg verdrehte Lage der Lamellen blendet das hässliche Krankenhaus aus, dafür erhascht man in den Zwischenräumen immer wieder ein Stückchen Natur, Schilfgras oder ein Gestrüpp, das sich im Frühjahr womöglich als Sternmagnolie herausstellen wird. In den beiden Nischen, die je einen Raum an der frischen Luft definieren – der eine gedeckt, der andere nach oben hin offen -, gibt es eine Sitzbank mit indirekter Beleuchtung und einer wetterfesten Outdoor-Steckdose. Fürs Krankenbett, für die Beatmungsmaschine, für was auch immer.
"Soll ich Ihnen was sagen? Ich habe gesehen, wie sehr die Studenten bei der Sache waren, wie viel Begeisterung sie in die Errichtung gesteckt haben. Ich finde es toll, was da passiert ist." Reinhard Bahr ist 78 Jahre alt. Er hat Krebs im Endstadium, wie er selbst sagt. "Da draußen in der Natur zu sein, das gibt mir etwas Beruhigendes. Für kurze Zeit schaltet man von seinen Schmerzen, von seinen Ängsten, von seinem Schicksal ab. Ich glaube, man findet in diesem Raum ein bisschen Ruhe. Das ist ja auch Sinn und Zweck der Sache, oder?"
60.000 Euro hat das Projekt gekostet. Die Hälfte davon stammt von Spendengeldern von Palliativ Kärnten, die andere Hälfte hat die KABEG zur Verfügung gestellt. Die Hauptprofiteure dieses als Pavillon getarnten Geschenks sind ohne Zweifel die Patienten. Nicht zuletzt aber ist die Kooperation zwischen Universität und realer Auftraggeberschaft auch eine wichtige, unbezahlbare Erfahrung für die Studierenden.
"Wir haben alle Details vom Fundament bis zum Dach selbst entwickeln müssen, und zwar so, dass es praktisch und wirtschaftlich ist", sagt Daniel Pereira-Arnstein, einer der in der Ausführungsplanung und Bauphase beteiligten FH-Studenten. "Und wir mussten den Pavillon so planen, dass wir ihn – mit der Unterstützung einiger weniger Firmen – selbst bauen können. Ich finde es gut, dass den Studenten praxisnahe Erfahrung nahegebracht wird. Dadurch lernt man viel mehr als nur in der Theorie."
Genau das ist auch die Absicht der FH, Studiengang für Architektur und Bauingenieurwesen. "In Entwicklungsgebieten wie etwa in Teilen Südafrikas haben wir schon öfter reale Projekte realisiert", erklärt Elias Molitschnig, wissenschaftlicher Mitarbeiter der FH und grüner Gemeinderat für den Bereich Planung und Baukultur in Klagenfurt. "In Österreich jedoch sind solche Zusammenarbeiten zwischen Studierenden und realem Auftraggeber noch eine Seltenheit. Eigentlich sehr schade, denn der Lerneffekt – nicht nur der technische und wirtschaftliche, sondern vor allem auch der soziale – ist enorm."
Die Studenten mussten ihren Entwurf nicht nur planen und detaillieren und sich anschließend einem Hearing des Klinikums Klagenfurt und des Vereins Palliativ Kärnten stellen. Sie mussten auch die Baukosten berechnen, den Statiker beauftragen und die Verhandlungsgespräche mit Baumeister und Zimmermann führen. Und sie mussten die Baustelle bis zur letzten Schraube koordinieren. "In Zukunft", meint Studiengangsleiter Peter Nigst, "möchten wir diese Praxiserfahrung zu einem verpflichtenden Fach unseres Studiums und somit auch zu einem Alleinstellungsmerkmal in der österreichischen Architekturausbildung machen."
Es gibt in diesem Land tausende Planungs- und Bauaufgaben, für die extrem hoher Bedarf besteht, obwohl in der Praxis leider nur wenig finanzielle Mittel dafür zur Verfügung stehen. Architektinnen und Bauingenieure in der Ausbildung, die sich mit Noten, ECTS-Punkten und praktischer Erfahrung bereits zur Genüge honoriert fühlen, wären dafür eine sinnvolle Planungsdisziplin.
"Es war eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe", blickt Barbara Traar, Verein Palliativ Kärnten, auf das Projekt zurück. "Die Studierenden haben hochwertigste Arbeit geleistet, und ich würde mir wünschen, dass solche akademischen Potenziale öfter ausgeschöpft würden." Reinhard Bahr blickt vom Fenster im dritten Stock auf den Pavillon hinab. "So ein schönes Häuschen ist das geworden. Da will man sich einfach nur reinsetzen und Ruhe haben."
(Artikel: Wojciech Czaja, 2.1.2016 - derstandard.at)